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Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Abulhawa
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gepackt hielt. »Ist er das?«, fragte er. Es war derselbe verängstigte junge Mann, der mich mit einer 9mm-Pistole bedroht hatte. Ich nickte, und Bo Bo, der eigentlich Bernard hieß, stürzte sich auf den Jungen und warf ihn, zusammen mit dem Inhalt eines Süßigkeitenständers, zu Boden. »Entweder bezahlst du mir auf der Stelle, was du geklaut hast, oder du kommst jeden Tag her und arbeitest es ab«, knurrte er mit einer Autorität, der höchstens ein Idiot nicht gehorcht hätte. Der junge Mann – er hieß Jimmy – arbeitete auch weiterhin für Bo Bo, nachdem er seine Schulden beglichen hatte. Die Polizei erfuhr nie davon. »Er ist einfach nur in die Falle gegangen. In das Netz gerutscht, das uns Schwarze so lange auspresst, bis wir keinen Saft mehr übrig haben«, erklärte mir Bo Bo.
    Ich wusste, dass die Leute in West Philly mich bezaubernd fanden, nicht komisch. Mein Akzent war kein Grund, mir zu misstrauen. Das war auch der Grund, warum die Weißen mich gefährlich fanden: mein Backstage-Pass für die Welt der Schwarzen.

25
Ein Anruf von Yussuf
    1978 – 1981
    I m Sommer 1978, bevor ich mit meinem Graduiertenstudium an der University of South Carolina anfing, ließ ich mich von meinen Mitbewohnern dazu überreden, mit ihnen nach Myrtle Beach zu fahren.
    Während der letzten fünf Jahre hatte ich, ganz egoistisch, die Weltpolitik ausgeblendet. 1973 begann und endete der Yom-Kippur-Krieg, mitsamt weiteren Unruhen in Palästina, und das Camp-David-Abkommen von Jimmy Carter sollte bald unterzeichnet werden – unbeachtet von mir. Mit voller Absicht vermied ich politische Diskussionen, ich schrieb nicht an die Leute, die mich liebten, und ich nannte mich »Amy« – die Hoffnung, die mein arabischer Vorname enthielt, war verschwunden. Ich war ein Wort, das keine Bedeutung mehr hatte. Eine Frau, die keine Vergangenheit mehr hatte. In Wahrheit wollte ich jemand anderes sein. Und in diesem Sommer in Myrtle Beach war ich Amy im Badeanzug, faulenzte im Sand und war so weit entfernt von mir selbst wie noch nie.
    Ich brauchte Tage, um einen halbwegs geeigneten Badeanzug aufzutreiben. Ein Bikini kam überhaupt nicht infrage.

    »Wow. Hattest du einen Unfall oder so?«, fragte mich Kelly im Umkleideraum, als sie meinen Bauch sah.
    »So was Ähnliches«, antwortete ich.
    Ich suchte mir einen konservativen schwarzen Badeanzug aus, weil er ein Büschel Plastikblümchen auf dem Stoff hatte – ziemlich idiotisch eigentlich –, da, wo die auffälligste Delle in meinem Bauch war.
    Bis jetzt hatte ich gedacht, die Mittelmeerstrände von Haifa würden die wichtigsten Strände in meinem Leben sein. Aber mit dreiundzwanzig Jahren schwamm ich zum ersten Mal im Meer und bohrte meine Zehen in den Atlantiksand, an einem Strand in South Carolina.
    Ich streckte mich den Strahlen der Sonne entgegen, derselben Sonne, die seit dem Morgen meines Lebens über Jenin schien und mir den lila Himmel und die asthmatisch vorgetragenen Gedichte von Baba geschenkt hatte.
    Hier gab es keine Soldaten. Keinen Stacheldraht oder für Palästinenser verbotene Zonen. Niemanden, der mich verurteilen würde. Keinen Widerstand, keine Schreie oder Sprechchöre. Ich war anonym. Ungeliebt. In meinen ersten Badeanzug gehüllt, dachte ich an Hudas große Sehnsucht, damals nach der Schlacht von Karameh, als wir dachten, wir würden in unser Palästina zurückkehren. »Am Strand sitzen. Nur sitzen, weil ich nicht schwimmen kann«, lautete ihr Wunsch. Er stand ganz oben auf der naiven Liste, die wir in unserer Jugend aufgestellt hatten. Huda.
    Ein Jahr nachdem ich mein Graduiertenstudium in South Carolina begonnen hatte, bekam ich meine Greencard und nahm die USA als mein neues Land an.
    Amy. Die Flüchtlings-Amal des tragischen Anfangs war jetzt Amy im Land der Möglichkeiten und des Überflusses. In dem
Land, das träge auf der Oberfläche des Lebens schwamm, unter einem gnädigen Himmel. Doch welche Fassade ich mir auch aufbaute, ich gehörte auf ewig zu dieser palästinensischen Nation der Vertriebenen, zu denen ohne Heimat, ohne Würde, ohne Ehre. Meine arabische Identität und die Urschreie Palästinas verankerten mich in der Welt. Ich suchte nach Geschichtsbüchern, in denen das stand, was Haj Salim mir erzählt hatte.
    Ein weiteres Jahr verging. Was immer du fühlst … ich ließ es nicht heraus. Bis zu dem Tag, an dem morgens um fünf Uhr das Telefon klingelte. Noch halb im Schlaf griff ich nach dem Hörer.
    »Hallo.«
    »Aluu«, antwortete eine

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