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Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Abulhawa
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grauenvolle Raserei. Was denkt ein israelischer Soldat, ein jüdischer Mann, wenn er sieht, wie ein Flüchtlingslager in ein Schlachthaus verwandelt wird? Fatima. Filastin.
    In der nächsten Passage wurde mir klar, was Fatima und ihren Freundinnen – den Freundinnen, die an ihrer Seite gewesen waren, als sie Filastin geboren hatte – zugestoßen war. Es waren die Frauen, die mich geküsst hatten, weil Fatima ihnen so viel von mir erzählt hatte. Die Frauen, die über mich getratscht hatten, als ich mich in Majid verliebte; die Frauen, die bei meiner Hochzeit gesungen, getanzt und geweint hatten:
    Eine der fünf getöteten Frauen hielt ein winziges Baby an sich gedrückt. Das Geschoss, das ihr durch die Brust drang, hatte auch ihr Baby umgebracht. Jemand hatte den Bauch der Frau aufgeschlitzt, seitlich und nach oben, vielleicht um ihr ungeborenes Kind zu töten. Ihre Augen waren weit offen, ihr dunkles Gesicht erstarrt im Entsetzen.
    Ein AP-Fotograf drückte auf den Auslöser und schickte die blutige Düsternis dieser Szene um die Welt. Ich sah das Foto in der arabischen Presse und erkannte zuerst das blassblaue Gewand der Frau. Fatimas Lieblings-Dishdasha, dünn geworden nach beinahe zwei Jahrzehnten. Das lockige Mädchen neben ihr war meine Nichte. Filastin.
    Yussuf rief mich an. Er schrie.
    Selbst durch die Telefonleitung hindurch konnte ich den Schmerz in seiner Stimme spüren, genug Schmerz, um den Himmel zum Einsturz zu bringen. Ich kann ihn noch immer im Wind hören, wenn ich spazieren gehe.
    »Wie viel müssen wir ertragen, wie viel müssen wir geben?«, heulte er wie ein Kind. »Fatima! Mein Liebling, Fatima! Hast
du gesehen, was sie getan haben?«, fragte er, schrie er, und antwortete selbst: »Sie haben ihr den Bauch aufgeschlitzt, Amal.«
    Es gab nichts, was ich ihm hätte sagen können.
    »Sie haben Fatima mit einem Messer den Bauch aufgeschnitten! Sie haben meine Babys getötet, Amal. Oh Gott, oh Gott!«
    Sein Schluchzen ließ den Boden unter meinen Füßen erzittern, und seine Trauer hätte beinahe die Sonne in Stücke gerissen. Er warf mit Gegenständen, und ich stand wie versteinert in Pennsylvania, als ich hörte, wie auf der anderen Seite der Erdkugel Glas zerbrach. Er ließ seinen Tränen freien Lauf und wurde von furchtbaren Anfällen des Schmerzes gepackt.
    Er verfluchte Israel, die Amerikaner, Ronald Reagan, Arafat und die Welt. Er verschonte keinen Führer, nicht Gott und nicht den Teufel. »Verflucht seien sie alle. Sie sollen in diese Hölle fahren, die sie für uns gemacht haben.«
    In seiner Stimme hörte ich den stillen Schrei des Zorns, der in ihm aufkeimte, die rohe Verzweiflung, die Rage, die sich gerade in Entschlossenheit verwandelte. Er gelobte Rache, schwor, ihnen die Kehlen durchzuschneiden. Er schlug den Kopf gegen die Wand, ohne Gnade gegenüber sich selbst, fluchend und noch mit dem Telefon in der Hand. Er weinte – seine sterbende Seele weinte.
    Die Raserei des Schmerzes zerbrach ihn. Yussuf war irreparabel zerstört. Sie töteten meinen geliebten Bruder in Abwesenheit, als sie Fatima umbrachten. Jetzt wurde sein Herz von unendlichem Zorn angetrieben.
    »SIE HABEN MEINE FRAU UND MEINE KINDER ABGESCHLACHTET WIE DIE LÄMMER!«
    Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Ich stand da, von der Grausamkeit des Schicksals getroffen. Von der gestohlenen Zukunft und dem unerträglichen Kummer über die erloschene Liebe.

    Wieder ging ich nach draußen und hörte die Blätter unter meinen Schritten rascheln. Ich hielt die Tränen zurück, indem ich meine Zähne fest aufeinanderpresste. Ich hatte Angst zu weinen, denn ich wollte nicht den Sturm meines Bruders in mir entfesseln.
    Was immer du fühlst, lass es nicht heraus. Oh Dalia, liebe Mutter! Jetzt verstehe ich!
    Ich zog Schuhe und Socken aus und legte mein Sweatshirt ab.
    Sollte mein Herz ruhig erfrieren.
    Ich stellte mir vor, wie ich die Einwohner Philadelphias anschrie, die in ihrem amerikanischen Alltagstrott lebten.
    Zehn Blocks weiter, am Rittenhouse Square, brach ich zusammen. Später erzählte man mir, dass ich tatsächlich eine Frau am Kragen gepackt und sie gefragt hatte, was um alles in der Welt sie so lustig fand, dass sie mit ihrer Freundin auf dieser Parkbank darüber lachen musste.
    Meine Fruchtblase platzte, und ein Krankenwagen brachte meinen nassen, schwangeren, barfüßigen Körper weg aus der Menge der Gaffer. Sie starrten mitleidig auf die verwirrte kleine Frau, die gleich ein Kind zur Welt bringen würde.
    Mein

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