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Während ich schlief

Während ich schlief

Titel: Während ich schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Sheehan
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Deshalb verdiente ich es nicht, aufzuwachen, jetzt nicht und nie!«
    Otto legte wieder eine Hand aufs Herz und bot mir die andere dar. Ich las die Bedeutung in seinen Augen. Bitte.
    Ich zögerte, flüsterte dann: »Es tut mir leid.« Er machte ein enttäuschtes Gesicht – doch nicht so ausdruckslos, wie ich dachte, nun, da wir uns so nahestanden. Aber er hatte mich missverstanden. Ich entschuldigte mich im Voraus für das, was mein Bewusstsein ihm zumuten würde. Das Dornendickicht meiner Schuld.
    Ich nahm seine Hand.



V or zweiundsechzig Jahren, acht Monaten und zwölf Tagen hatte mein Leben die Wendung genommen, die zu diesem Horror führte. Sie begann mit einer guten Nachricht. Ich ging gerade aus dem Kunstunterricht, als Mr. Sommers mich aufhielt. »Könnte ich dich mal kurz sprechen, Rose?«
    Ich schluckte, weil ich befürchtete, wieder etwas falsch gemacht zu haben. Man sollte meinen, Kunst sei das einzige Fach, in dem ich keine Probleme hatte. Zu schön, um wahr zu sein. In meinen wissenschaftlichen Fächern brachten die Lehrer mir stille Verzweiflung entgegen. Im Kunstunterricht dagegen hatte ich oft Lehrer, die mir entweder Neid auf meine gesellschaftliche Stellung oder offene Feindseligkeit entgegenbrachten. Die Feindseligkeit rührte meist von meiner Dauerpräsenz im Kunstsaal her – vom frühen Morgen bis zum späten Abend, und manchmal noch in der Mittagspause – und der Tatsache, dass ich zehnmal so viel Material verbrauchte wie die anderen Schüler. Daher war ich sicher, dass ich wieder einen Vortrag wegen Verschwendung von Schulgeldern zu hören bekommen würde.
    »Rose, es gibt da etwas, über das ich mit dir reden muss«, begann Mr. Sommers.
    »Ich entschuldige mich«, sagte ich automatisch.
    Mr. Sommers hob eine Augenbraue. »Wofür denn?«
    »Für das, was ich getan habe, was es auch ist. Es tut mir leid.«
    Da lächelte er. »Nein, es ist nichts Schlimmes.« Ich sah ihn
überrascht an. »Erinnerst du dich an die Bilder für Zusatzpunkte, die du mal bei mir eingereicht hast?«
    »Ja«, sagte ich. In dieser Schule gab es eine kleine Kunstgalerie, und man bemühte sich darum, Arbeiten von Schülern zusammen mit Werken von lokalen Künstlern aufzuhängen. Vor drei Monaten hatte Mr. Sommers jedem Zusatzpunkte in Aussicht gestellt, der eine außerhalb des Unterrichts angefertigte Arbeit mitbrachte, damit sie eventuell in der Galerie ausgestellt werden konnte. Ich hatte gleich ein halbes Dutzend Ölgemälde mitgebracht. Keines davon war in der Galerie aufgehängt worden, aber das machte mir nichts aus. Die Punkte bekam man, ob sie ausgestellt wurden oder nicht.
    »Ich war recht beeindruckt von deinem Talent«, sagte Mr. Sommers. »Und zwar so beeindruckt, dass ich ein paar von deinen Unterrichtsarbeiten ausgewählt und sie zusammen mit diesen Bildern einem Freund geschickt habe, der in der Jury des Förderprogramms >junge Meister< für hervorragende Nachwuchskünstler sitzt. Hast du davon gehört?«
    Das hatte ich. Seit rund zehn Jahren war dieses Förderprogramm die weltweit wichtigste Einrichtung für Kunststudenten, die es ernst meinten. Ich wusste davon seit Beginn der Mittelstufe ... was zugegebenermaßen einige Jahre her war. »Haben sie ihm gefallen?«, fragte ich, eher neugierig als hoffnungsvoll. Falls sein Freund fand, dass ich das Zeug dazu hatte, mich in zwei oder drei Jahren für das Programm zu bewerben, würde ich mich freuen.
    »Ja, allerdings. Er hat mir heute mitgeteilt, dass eines deiner Gemälde als eine von zwei Gewinnerarbeiten in der Kategorie Malerei ausgewählt wurde.«
    Ich schnappte nach Luft. »Wie bitte?« Das war nicht möglich! Fortgeschrittene Schüler von berühmten Künstlern kamen in das Junge-Meister-Programm. Kunststudenten. Schon
etablierte Künstler unter einundzwanzig. Dass eine Highschool-Schülerin in einer der Kategorien gewann, war eigentlich undenkbar. »W-welches Bild?«
    »Dasjenige, das du Himmelsbauch genannt hast.«
    Ich schluchzte beinahe vor Glück. Das war das Bild, von dem ich so sicher geglaubt hatte, dass ich es mangels Gelegenheit nie vollenden könnte, das mit den zerklüfteten Bergen und der Unterwasservegetation.
    »Die Preisverleihung findet jedes Jahr in New York statt, und du hast bereits die Reise dorthin für dich und ein Familienmitglied gewonnen. In einer der Kategorien zu gewinnen, ist eine enorme Ehre.« Das brauchte er mir nicht zu sagen. »Damit bist eine von zehn Bewerbern, die den Preis der Jungen Meister gewinnen können.

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