Während ich schlief
aufgegangen, dass ich eigentlich schon hundert bin, genau genommen. Die letzte Stasis begann vor zweiundsechzig Jahren, demnach ... zweiundzwanzig Jahre? Glaube ich.«
Bren stand langsam auf und tat etwas total Überraschendes. Er nahm mich in die Arme und zog mich liebevoll an sich. »Das tut mir so leid«, flüsterte er mir ins Ohr.
Also, das war nun wirklich nicht fair. Als wollte er mir das Herz aus der Brust reißen und es in den Staub treten. Er atmete schwer an meinem Ohr, und die Nähe seines Körpers war so wunderbar tröstlich wie Schlaf. Vor Erleichterung konnte ich einen Japser nicht unterdrücken, aber ich war auch wütend. Er meinte es nicht ehrlich. Er quälte mich nur. Ich ging auf Abstand. »Wozu das denn? Mir geht es gut.« Es wunderte mich, dass meine Stimme so fest klang.
Er sah mich groß an, und sein Gesicht war so weich und offen wie nie zuvor. Langsam schüttelte er den Kopf. »Rose, dir geht es nicht gut.«
»Doch«, sagte ich böse. »Wer bist du, meine Bewältigungsmechanismen zu kritisieren? Du gehst und haust ein paar Tennisbälle durch die Gegend, ich gehe in Stasis. Wo ist der Unterschied?«
Fassungslos starrte er mich an und schloss kurz die Augen, wie um all seine Geduld aufzubieten. »Gut«, sagte er, »glaub das, wenn es dir hilft.« Dann packte er meine Hand und zog mich mit sich. »Ich muss dich nach Hause bringen.«
Ich widersetzte mich. »Nein.«
Bren drehte sich um. »Nein?«
»Ich bin noch nicht bereit, zurückzugehen.«
Er musterte mich eine volle Minute lang. »Tja, Pech«, sagte er schließlich. »Die halbe Polizeimannschaft von ComUnity ist deinetwegen in Alarmbereitschaft. Deine Pflegeeltern haben hysterische Anfälle. Guillory und mein Großvater regen sich so auf, dass sie kurz vorm Schlaganfall sind. Also reiß dich zusammen, und mach, dass du da raufkommst.«
Ich zog eine gequälte Grimasse. »Lass mich einfach allein«, stöhnte ich. »Sag ihnen, dass ich okay bin. Sag ihnen, wo ich bin. Ich kann einfach noch nicht da raufgehen.« Ich wich weiter zurück und setzte mich auf eine Holzkiste.
»Warum nicht?«
»Es ist ... zu früh. Das sollte alles weg sein. Es sollte lange genug gewesen sein, dass es mir nichts mehr ausmacht.« Ich sah verstohlen zu ihm hin – so verflixt schön –, und es gab mir einen Stich. Nein, es war eindeutig nicht lange genug. »Es reicht noch nicht.«
Bren starrte mich immer noch an. Er kam geduckt auf mich zu, als wäre ich eine Wildkatze, und hockte sich vor mich hin, damit er mir in die Augen sehen konnte. »Rose. Es tut mir wirklich leid. Ich hätte das neulich nicht sagen sollen. Das war ... grausam, aber du hast mich kalt erwischt. Ich hatte dich falsch eingeschätzt.« Er seufzte. »Ich bin nicht sehr gut darin, neue Menschen kennenzulernen, unsere kleine Gruppe ist ziemlich ...«
»Abgeschottet«, ergänzte ich.
»Ja, das trifft es wohl.« Er lächelte betreten. »Und du bist so still. Das habe ich gemeint, als ich sagte, du wärst wie ein Geist. Es hatte nichts mit dem Stasis-Kram zu tun. Es ist schwer, dich besser kennenzulernen, wenn du nicht sprichst. Ich habe das wirklich nicht geahnt. Kein bisschen.« Er rang nach Worten. »Du bist undurchschaubar. Für mich jedenfalls. Otto hat dich gesehen an dem Morgen, als du von der Schule weggelaufen bist. Er hat sich Sorgen gemacht. Ich habe ihm gesagt, dass du einfach nur ein bisschen in mich verliebt bist und überreagiert hast, aber er glaubt ...« Er zögerte. »Otto glaubt, dass etwas nicht mit dir stimmt. Nicht mit dir als Person, meine ich, er hält es nicht für was Angeborenes. Aber du hast solche Leerstellen in deinem Bewusstsein. Ich wusste nicht genau, was er damit meinte, aber jetzt denke ich ...«
»Es liegt nicht an der Stasis«, sagte ich entschieden. »Wach du mal eines Morgens auf und stell fest, dass deine Welt untergegangen ist, dass alle, die du gekannt und geliebt hast, auf
einen Schlag tot sind, deine ganze Umgebung sich so radikal verändert hat, dass du sie nicht wiedererkennst – sogar die Mimik der Leute anders ist –, dann wirst du sehen, wie vollständig dein Bewusstsein ist!« Gegen Ende dieser kleinen Rede waren mir die Tränen in die geschwächten Augen geschossen. »Koit!«, murmelte ich, um sie zu unterdrücken. Ich hatte recht. Ich war nicht annähernd lange genug in Stasis gewesen.
»So viel habe ich dich noch nie an einem Stück reden hören.« Er streichelte mein Gesicht. »Wein ruhig. Ich würde auch weinen.«
»Nein,
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