Während ich schlief
sagte ich, als ein Rätsel nach dem anderen sich löste. »Und Wüstenwind. Und Bren ...« Ich stockte bei dem Namen und warf meinem Märchenprinz einen Seitenblick zu. Er verfolgte perplex unseren Wortwechsel, die braungrünen Augen fragend zusammengekniffen.
Nun, da ich es zuließ, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Seine dunklere Haut und das krausere Haar und der eurasische Lidschnitt hatten mich von der Kinnlinie, der Form der Nase und der Augenfarbe abgelenkt. Kein Wunder, dass ich mich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte.
»>Nenn mich Ron« Ich schloss die Augen. Ronald war sein zweiter Name; er hatte irgendwann angefangen, »Ronny« für die Schule zu verwenden, weil die anderen ihn immer wegen des X in Xavier gehänselt hatten. Kaum überraschend, dass er ihn auch im Geschäftsleben benutzte. Die Tränen kamen nun, aber kein Schluchzen erschütterte meine Brust. Sie strömten einfach unaufhaltsam aus meinen Augen. »Wie konntest du nur?«
Xavier schloss für einen Moment die Augen und schüttelte den Kopf, seine Züge ein Bild des Kummers. »Ich wusste es nicht«, sagte er leise.
Diese lahme Ausrede brachte den Tränenstrom zum Überkochen. Ich holte aus und ohrfeigte ihn mit aller Kraft. Sein Kopf flog mit dem Schlag herum, sodass er nicht die volle Wucht abbekam.
Sogleich war ich über mich selbst entsetzt. Das hätte ich, und zu recht, meinem Xavier antun können, doch ein Greis verdiente mehr Respekt. Ich wusste nicht, was ich sagen, was ich fühlen, an wen ich mich wenden sollte. So tat ich das Einzige, was ich konnte. Bevor Xavier auch nur Gelegenheit hatte zu reagieren, stürzte ich davon.
So schnell war ich noch nicht einmal vor dem Plastobot davongelaufen. Meine Schritte hallten donnergleich durch das Atrium. Jemand rief mir etwas nach, doch ich wurde nicht mal langsamer. Ich hämmerte auf den Abwärtsknopf des Aufzugs, der zum Glück noch oben war. Durch den Tränenschleier sah ich eine dunkle Gestalt durch das Atrium auf mich zulaufen. Xavier konnte unmöglich noch so schnell rennen – das musste Bren sein. Ich wartete nicht auf ihn.
Die Tür ging zu, und ich fuhr die achtzig Stockwerke hinunter ins Ergeschoss. Mein überstürzter Abgang erschreckte den Wachmann, der mit gezückter Waffe aus seiner Nische hervorsprang. »Was ist los?«, rief er und beruhigte sich nur halb, als er sah, wer es war.
»Machen Sie einfach die Tür auf.« Ich war erstaunt, dass ich etwas Verständliches herausbrachte.
Er gehorchte, und ich taumelte hinaus in das pastellblaue frühe Morgenlicht. Mein Solarskiff hatte sich in der Nacht fortbewegt, und ich wusste nicht, wie ich es herbeirufen sollte. Es hatte mich immer von selbst zur rechten Zeit von der Schule abgeholt. Panikartig rannte ich weiter, ohne zu wissen oder mich darum zu scheren, wohin.
»Rose!« Bei dem Ruf stolperte ich und fiel ins Gras. Ich war in die dekorative Grünanlage gleich links von dem Wolkenkratzer gelaufen. »Rose!« Bren holte mich keuchend ein. Ich schnappte nach Luft wie ein Fisch, meine Muskeln schmerzten,
meine Lunge schien zu platzen. Brens Kondition war um einiges besser.
Er packte mich an den Schultern und zwang mich, ihn anzusehen. Ich wollte nicht. Ich wollte meinen Xavier nicht sehen, der mich aus diesen mandelförmigen Augen anblickte. Ich röchelte und weinte und versuchte, zu mir selbst zu kommen in all der Verzweiflung. Doch ich fand nirgends Halt, und nichts schien normal zu funktionieren. Ich konnte nicht aufstehen und weiterlaufen, konnte mich nicht abwenden. Zu viel von mir hatte zu lange stagniert.
»Rose, was ist los? Was war das eben?« Seine warmen braunen Hände wischten ein paar Tränen von meinen Wangen. »Red mit mir! Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«
Ich zog meinen Kopf weg, wütend auf mich selbst. Bren runzelte die Stirn, dann nahm er mich in die Arme. Ich wünschte, ich hätte die Kraft gehabt, mich loszureißen, aber ich tat es nicht. Ich wollte ihn immer noch – ihn oder irgendjemanden -, und ich ertrug es nicht. Ich ließ mich von ihm halten, während ich gegen das Weinen ankämpfte. Sobald ich mich wieder einigermaßen im Griff hatte, rückte ich von ihm ab. Meine Lunge schien den Dienst zu verweigern, und ich hustete ein paarmal, um die Atemwege frei zu bekommen. »Es tut mir leid«, sagte ich, als ich wieder sprechen konnte. »Alles. Vor allem, dass ich mich dir so an den Hals geworfen habe. Ich ... mir war nicht klar, warum.«
»Was soll das
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