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Während ich schlief

Während ich schlief

Titel: Während ich schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Sheehan
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heißen?«
    Xavier hatte es ihm nicht erklärt? Nein, dazu hatte er wohl keine Zeit gehabt. Ich musterte Bren. Warum hatte er nichts gesagt? Warum hatte er es nicht erraten? Er musste doch Fotos von seinem Großvater als jungem Mann gesehen haben; warum war ihm die Ähnlichkeit mit meinen Xavier-Porträts nicht aufgefallen?

    Als hätte der Gedanke an die Zeichnungen es herbeigezaubert, entdeckte ich auf einmal mein Skizzenbuch im Gras neben Brens Knie. Er hatte es offenbar mitgebracht. Nett von ihm, wirklich. Es war ihm wohl aufgefallen, dass ich nirgendwo ohne eines hinging. Ich nahm es und schlug die verräterische Doppelseite auf, die den alten Mann dem jungen gegenüberstellte. »Wie konntest du das nicht sehen?«
    Bren starrte lange auf die Skizzen und blätterte dann, wie zuvor sein Großvater, durch Xaviers Altersstufen. Seine Kinnlade klappte herunter. Schließlich ging er zu dem Bild von Xavier mit siebzehn zurück, wie er liebevoll lächelte. »Ich habe es nicht gesehen, weil dieser Junge lächelt«, sagte Bren. »Großpapa lächelt nie.«
    »Aber der Name ...«
    »Ich kannte ihn immer nur als Ronny. Ich meine, ich weiß zwar, dass er auch Xavier heißt, habe den Namen schon mal in irgendwelchen Unterlagen gesehen, aber er verwendet ihn nie. Vielleicht habe ich ihn ein- oder zweimal irgendwo erwähnt gesehen.« Er betrachtete wieder das Porträt und atmete mit aufgeblasenen Backen aus, fast ein Pfeifen, als ringe er nach Worten.
    »Ich habe ihn wohl ... in dir gesehen«, sagte ich ruhig. »Und mich deswegen zum Narren gemacht.«
    »Nein, nicht zum Narren«, entgegnete Bren. »Ich glaube, Menschen sind nicht dafür geschaffen, mit einer derartigen Situation klarzukommen. Manchmal fürchte ich, dass die Technologie uns allen übel mitspielt. Dir hat sie jedenfalls übel mitgespielt.« Er nahm meine Hand. »Es tut mir sehr leid.«
    Ich zog die Hand weg. Das war nicht auszuhalten. Ich hatte versucht, darüber hinwegzukommen, dass Bren mir Herzklopfen und Schmetterlinge im Bauch verursachte, und nun
weckte er auf einmal den Beschützerinstinkt in mir, wie damals Xavier als Kind. Dabei fand ich ihn nicht weniger attraktiv als vorher, und die beiden Empfindungen vermischten sich und verwirrten mich, und ich wusste gar nichts mehr. Es war alles zu viel. Ich fragte mich, ob ich Otto jetzt nicht auf der Absonderlichkeitsskala übertraf, weil ich mich in den Enkel meines Freundes verliebt hatte.
    »Hat er dich mir nachgeschickt?«, fragte ich.
    »Nein. Ich habe mir dein Skizzenbuch geschnappt und ihn auf dem Weg nach draußen gefragt: >Soll ich ...?<, worauf er genickt hat. Das zählt, glaube ich, nicht als Schicken.«
    »Nein.« So war es mir lieber.
    Er schüttelte den Kopf. »Das ist wirklich der Hammer. Du hättest meine Großmutter sein können.«
    »Ich könnte so oder so deine Großmutter sein.« Aber er hatte recht. Ich hätte es sein können. Oder jedenfalls die Großmutter eines Jungen wie ihm. Aber ich war es nicht. Und ich hätte es sein sollen. Ich hätte es verdammt nochmal sein sollen. Mein Leben war mir gestohlen worden. Ich hatte mich nie ganz vollständig gefühlt, seit ich aus der Stasis erwacht war, aber vorher war mir das nicht so endgültig erschienen.
    Ich sah die Lichter meines Solarskiffs langsam auf der Straße näherkommen. Es musste einen Suchmonitor haben. Das verwirrte mich. »Ach du Koit«, sagte Bren, dem anscheinend gerade etwas eingefallen war.
    »Was?«
    »Mom heißt mit vollem Namen Roseanna. Rose, so wie du.«
    Das gab mir einen neuen Stich ins Herz, und ich sprang auf. »Wenn er sich so versengt viel aus mir gemacht hat, warum zum Koit hat er mich dann da drin verrotten lassen?«, schrie ich. Ich rannte zu meinem Solarskiff und knallte die Tür zu,
ehe Bren wusste, wie ihm geschah. Er schlug mit der flachen Hand gegen das Fenster, aber ich hatte schon den Startbefehl gegeben und ließ ihn im Morgengrauen zurück. Inzwischen war es mir völlig egal, ob der Plastobot mich erwischte oder nicht. Ich wusste bloß nicht, wohin ich wollte. Es gab keinen Ort für mich.



D as Skiff umrundete ComUnity siebenmal in der blassrosa Dämmerung. Ich konnte nicht denken. Ich versuchte zu schlafen, doch mich überfielen nur Träume: Träume von Bren, der sich in Xavier verwandelte, Xavier, der zu Guillory wurde. Ich wollte meinen Hund holen, hatte aber Angst, nach Hause zu fahren. Nicht wegen des Plastobots – der Tod erschien mir in dem Moment als die reinste Spritztour –, sondern wegen

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