Waffenschwestern
wartete sie nicht in aller Stille darauf, dass sie gerettet wurde, davon war Marta überzeugt.
*
Brun nahm das Schälmesser zur Hand und steckte es sich in den Ärmel. Die Heimleiterin sollte die Messer eigentlich jeden Tag zählen, aber sie tat es nicht. Sie döste gern in ihrem eigenen Zimmer, nachdem sie sich aus einem Tonkrug einen genehmigt hatte, und in gut der Hälfte aller Fälle ließ sie die Küche unverschlossen. Brun hatte das wiederholt überprüft und damit sichergestellt, dass der Diebstahl eine vernünftige Chance hatte, unbemerkt zu bleiben.
Der Druck des Messers am Arm, unter den Bändern, die es dort hielten, vermittelte ihr frischen Mut. Sie hatte so lange gewartet, wie sie nur konnte; sie wagte es nicht, noch länger auf Rettung zu warten. Weder sie noch die Babys mussten hier leben… aber als sie die Klinge an den feuchten weichen Hals des schlafenden Rotkopfs hielt (sie wusste genau, wer dessen Vater war), wurde ihr klar, dass sie es nicht übers Herz bekam.
Sie liebte diese Kinder nicht, nicht so, wie es Mütter vorgeblich taten, wie die anderen Mütter hier ihren Nachwuchs zu lieben schienen, aber sie hasste sie auch nicht. Es war nicht die Schuld der Babys; sie waren nicht von selbst in den widerstrebenden Leib der Mutter eingedrungen.
Sie konnte sie allerdings nicht mitnehmen, wenn sie flüchtete.
Sie musste sich selbst irgendwie als Mann verkleiden … und 500
Männer trugen keine Babys auf der Straße herum, selbst wenn zwei sich windende und allzu stimmgewaltige Babys Brun nicht ohnehin zu sehr aufgehalten hätten. Falls sie sie zurückließ, brüllten sie schon etwa eine Stunde später, dass sie wieder gesäugt werden wollten. Trotzdem brachte Brun es einfach nicht übers Herz, sie umzubringen, nur um mehr Vorsprung zu
erhalten.
Ihr kam eine andere Idee. Obwohl im Kinderhort keine
Medikamente zu finden waren, von denen sie gewusst hätte –
und sie hatte keine Ahnung, welche der Kräuter in der
Speisekammer die Babys vielleicht in Schlaf versetzten –, so gab es doch ein einfaches Schlafmittel, für jeden greifbar, der Obst und Wasser und ein bisschen Zeit zur Verfügung hatte.
Am späten Nachmittag ging sie wie üblich im Obstgarten
spazieren und trug dabei ein Baby auf dem Rücken und das andere vorn. Ihre Füße waren zäh geworden; die Kieswege taten ihr nicht mehr weh. Unter dem langen Rock hatten sich harte Muskeln an den Beinen entwickelt nach all den Übungen, bei denen sie geschwitzt hatte. Ohne die Babys konnte sie schnell und weit laufen; sie konnte sich auch wehren, sofern sie nicht überrascht wurde. Und sie hatte nicht vor, sich erneut
überraschen zu lassen. Hätte sie doch nur gewusst, wo sie Hazel und die Kleinen und wo sie offenes Land fand, in dem sie sich –
davon war sie überzeugt – verstecken konnte!
Außer Sichtweite des Hauses nahm sie das Messer in die
Hand und legte es in die Astgabel eines Apfelbaums. Sie kontrollierte, dass die Klinge nicht im Licht schimmern würde und damit jemandes Aufmerksamkeit weckte. Sie stopfte
gefallenes Laub aus dem vergangenen Jahr ringsherum und 501
spazierte weiter; als sie zum Haus zurückkehrte, hatte sie einen Strauß Wildblumen in der Hand.
Zwei Tage später stibitzte sie einen Krug aus der Küche. Sie nahm ihn mit in den Obstgarten, in der Schlaufe versteckt, mit der sie inzwischen die Babys trug. Für frisches Obst war jetzt nicht die richtige Jahreszeit, aber sie hatte Trockenobst dabei, wie es den Frauen immer zur Verfügung stand, sowie Honig und Wasser.
Die Mixtur gärte in nur wenigen warmen Sonnentagen. Sie roch seltsam, aber eindeutig alkoholisch. Brun kostete vorsichtig davon. Das Getränk hatte es in sich – genug, wie sie hoffte, um die Babys in tiefen Schlaf zu versetzen.
Sektor-VII-HQ
Während die Planungen der Einsatzgruppe mühsam ihren
Fortgang nahmen, behielt Marta Häschen im Auge. Seine
Einstellung gegenüber Esmay Suiza hatte sich nicht geändert, nicht einmal, als offenkundig wurde, dass viele der gegen sie erhobenen Vorwürfe Lügen und nichts als Lügen gewesen
waren. Und warum nicht? Marta kannte Häschen schon den
größten Teil seines Lebens lang; er war weder dumm noch gehässig. Sein Ruf, in Krisen die Ruhe zu bewahren und fair gegenüber allen Parteien zu sein, hatte ihn zu dem einen Kandidaten gemacht, dem der Große Rat nach Kemtres
Abdankung vertrauen konnte. Warum also bemühte er sich in diesem späten Stadium nach wie vor darum, Suiza aus der
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