Waffenschwestern
körperliche Misshandlungen, ohne die
Beherrschung zu verlieren, brachte keine Drohungen vor, verhielt sich so passiv wie möglich. Zweitens kooperierte er voll mit der anschließend nötigen Therapie. Manche geretteten Gefangenen ertragen die Schande nicht, die sie mit einer solchen Therapie in Verbindung bringen; obwohl sie sich einer gewissen Mindestbeteiligung nicht entziehen können, kooperieren sie nicht und kommen damit nicht in den Genuss der
Vorteile. Nach allen Berichten – die natürlich meist vertraulich sind, sodass mir nur die veröffentlichte Zusammenfassung zur Verfügung stand – hat Ensign Serrano umfassend kooperiert, und seine Therapeuten sind überzeugt, dass bei ihm keine psychischen Schäden zurückgeblieben sind.« Eine weitere Pause trat ein, die niemand unterbrach.
»Manche von Ihnen dachten zweifellos, ich wäre Ensign
Serrano gegenüber unhöflich – sarkastisch, kritisch. Das war ich auch. Ich habe für mich selbst die Gültigkeit des
Therapieberichts geprüft, ehe ich Serrano dem Trauma dieses Kurses aussetzte, in dem unbearbeitete Probleme ihn zu einer Gefahr für sich und andere hätten machen können. Er hat meine Prüfung bestanden. Die anderen von Ihnen … da werden wir einfach sehen müssen.« Uhlis wandte sich an Barin. »Ensign Serrano.«
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»Sir.« Barins Nacken war nicht mehr gerötet.
»Meinen Glückwunsch.«
»Sir.« Der Hals wurde wieder rot.
»Ich vermute, Sie alle haben das einführende Material zu diesem Fach gelesen«, sagte Uhlis. Sein Blick schweifte forschend durchs Klassenzimmer. Esmay hatte wie üblich mehr als nur das einführende Material gelesen, aber sie schloss aus den unbehaglichen Bewegungen einiger Mitschüler, dass sie sich die Texte nicht angesehen hatten. Uhlis warf einen Blick auf sein Display. »Lieutenant Taras, bitte erläutern Sie den rechtlichen Unterschied zwischen militärischer Gefangennahme und feindlicher Entführung.«
Taras, die zwei Plätze neben Esmay saß, gehörte zu denen, die sich gewunden hatten. Sie stand auf. »Sir, zu einer militärischen Gefangennahme kommt es, wenn sich eine Einheit ergibt; feindliche Entführung liegt vor, wenn die Einheit überrascht wird.«
»Und die rechtliche Lage?«
»Naja … in einem Fall hat man kapituliert, und im anderen
… wurde man gefangen genommen.«
»Unzulänglich. Ich vermute, Sie haben den Text nicht
gelesen. Trifft das zu?«
»Ja, Sir.« Taras wirkte verdientermaßen unglücklich.
Uhlis' Blick wranderte die Reihe entlang. »Lieutenant
Vericour?«
Vericour stand auf. »Sir, ich habe den Text gelesen, bin aber nicht sicher, ob ich ihn verstehe … Ich meine, die Sache ist 57
schon klar, wenn jemand von einer Raumstation entführt wird, wo er gerade seinen Urlaub verbringt oder so was, verglichen mit der Kapitulation der Besatzung eines beschädigten
Schiffes.«
»Angenommen, Sie wären überzeugt, Opfer einer feindlichen Entführung geworden zu sein: Welche rechtliche Position hätten Sie?«
»Sir, dem Kodex zufolge muss ich mit allen Mitteln zu
entkommen versuchen, andere bei ihren Fluchtversuchen
unterstützen…«
»Ja … Und welche Verpflichtungen haben die Entführer
Ihnen gegenüber?«
»Falls ihre Seite zu den Unterzeichnerstaaten der Otopki-Konferenz gehören würde, wie die Benignität der Wohltätigen Hand und die Guernesische Republik, die Bluthorde jedoch nicht, wäre sie verpflichtet, für adäquaten Lebensunterhalt und medizinische Versorgung…«
»Ganz gut. Lieutenant Suiza…« Vericour setzte sich, und Esmay stand auf. »Bitte definieren Sie Ensign Serranos
Situation in Begriffen der rechtlichen Fragestellung, die ich aufgeworfen habe.«
»Sir, obwohl Ensign Serrano an Bord eines Flottenschiffes entführt wurde, entsprach seine Lage eher einer feindlichen Entführung als militärischer Kapitulation. Da die Bluthorde den Vertrag der Otopki-Konferenz nicht unterzeichnet hat, erkennt sie keinerlei Verpflichtungen gegenüber Gefangenen an, unter welchen Umständen auch immer, wird aber nach dem Gesetz der Familias trotzdem dafür haftbar gemacht.«
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»Sehr gut.« Uhlis nickte. Esmay setzte sich, und er wandte sich jemand anderem zu. Innerhalb weniger Minuten hatte er herausgefunden, wer den Einführungstext gelesen hatte und wer nicht – und wer dazu neigte, überstürzt oder dumm zu reagieren.
Zu den Letztgenannten gehörte Brun, was Esmay nicht überraschte. Uhlis hatte sie gerade angesprochen und erfahren, dass auch sie den
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