Waffenschwestern
zu.
»Warum bist du nicht angezogen, Mädchen?«
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Sie durfte nicht reden. Sie wusste nicht, wie sie antworten sollte, ohne etwas zu sagen. Sie schüttelte den Kopf und breitete die Hände aus.
Die Stiefel kamen näher; die großen Hände warfen den
ordentlichen Stapel um, den sie aus den Kleidern gemacht hatte, und brachten Stinkys Pullover zum Vorschein. Der Mann warf ihn ihr zu. »Zieh das an, Mädchen. Sofort!«
Sie fummelte sich hinein. »Du wickelst dich in eines dieser Laken.« Daran hatte sie nicht gedacht; sie hastete übers Deck, packte sich ein Laken und wickelte es unbeholfen um sich. Wie konnte sie es nur befestigen? Irgendwas landete mit dumpfem Schlag vor ihr auf dem Deck – ein kleiner Sack aus Segeltuch.
»Das sind Nähsachen – falls du nicht nähen kannst, solltest du es lieber lernen! Nähe dir irgendwas Anständiges aus den Laken. Bedecke die Arme, überhaupt alles bis zu den Knöcheln.
Mach aber den Rock nicht zu füllig. Nur anständige verheiratete Frauen tragen füllige Röcke. Mache auch Röcke für die kleinen Mädchen und nähe sie mit den Blusen zusammen.« Er ging
herum und baute sich vor den Kleinen auf.
»Was ist das?« Sie blickte nicht auf; sie antwortete nicht.
»Mädchen, hör mal, du musst diesen Babys die richtigen Sachen beibringen. Mädchen spielen mit Mädchen; Jungs spielen mit Jungs. Mädchen haben Puppen; Jungs haben Spielsachen für Jungs. Du sorgst dafür, dass das getrennt bleibt, kapiert?«
Aber Brandy und Paolo waren befreundet; sie spielten schon seit dem Säuglingsalter zusammen. Und Brandy spielte immer mit Klötzen und Sachen zum Bauen. Hazel kauerte sich
zusammen, wütend und ängstlich zugleich, als der Mann
Brandys Klotzturm zerschlug und Brandy selbst neben ihre Schwester setzte. »Du – nimm diese Puppe!« Brandy nahm sie, 168
aber Hazel sah den Zorn in ihren Augen, der fast groß genug war, um die Angst zu überwinden. Paolo, der mit den ver-streuten Bauklötzen zurückblieb, hatte bereits einen zur Hand genommen und streckte die Hand nach Brandy aus. »Nein!«, wies ihn der Mann zurecht. »Keine Bauklötze für Mädchen.
Bauklötze sind für Jungs.« Paolo sah verwirrt drein, während Brandy ein wütendes Kreischen ausstieß. Gelassen knallte ihr der Mann eine, dass sie ans Schott flog. »Halt die Klappe; du lernst es besser gleich, Göre!«
Die nächsten Tage waren, falls überhaupt möglich, ein noch schlimmerer Albtraum. Die Kleinen kapierten einfach keine der Einschränkungen; Hazel bemühte sich, sie zu trennen, wie es die Piraten verlangten, sie mit den »richtigen« Spielsachen zu beschäftigen, die Kabine ausreichend sauber zu halten, sich selbst »anständig« zu benehmen und gleichzeitig daraus schlau zu werden, wie sie die Kleidungsstücke anfertigen konnte, die die Piraten bei ihr und den Mädchen verlangten. Sie hatte noch nie im Leben etwas genäht; sie hatte gesehen, wie Donya mit Hilfe der Nähmaschine Kunstwerke hervorbrachte, die sie verkauft hatten, wenn sie auf Corian anlegten, aber Kleider stammten aus dem Geschäft oder in Notfällen vom Fabrikator.
Man gab die Maße ein, wählte den Stil, und zack kamen die Kleider heraus. Hazel hatte jedoch keine Ahnung, wie man flaches Tuch in die röhrenförmigen Kleidungsstücke auf den Bildern verwandelte, die die Piraten ihr zeigten.
Es war ohnehin kein praktisches Kleidungsstück. Enge
Röhren für die Arme und ein langes Rohr, das den Körper von den Achselhöhlen bis zu den Fußknöcheln bedeckte …
Niemand konnte in so was bequem sitzen, bequem gehen,
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klettern und spielen und alles Mögliche anstellen. Aber sie erhob keine Einwände. Sie bemühte sich, aus den seltsamen Gerätschaften in dem Nähkorb schlau zu werden: gefährlich dünne, scharfe Metallgegenstände, die in der Nähe kleiner Kinder nichts verloren hatten, Spulen mit dünnen Fäden, eine Schere, ein langes Band mit Abstandsmarkierungen, die mit keinem Maßsystem zu tun hatten, das Hazel kannte, ein kurzer Metallstreifen – ebenfalls mit Abstandsmarkierungen und mit einem Ende, wo man ihn hineinschieben konnte.
Das Nähen mit der Hand war viel härter, als es aussah,
obwohl Hazel besser zurechtkam, als sie endlich herausfand, dass der winzige Becher über ihren Finger passte und diesen vor den Stichen des langen scharfen Dings schützte, durch das der Faden lief. Der Stoff schien einen eigenen Willen zu haben; er verschob sich immer, wenn sie ihn zu durchstechen versuchte.
Endlich hatte
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