Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
sie froh, dass sie ihrer Familie gegenüber stets zurückhaltend mit persönlichen Gefühlen war, denn Noras Mutter redete gern. Und viel, wenn sie die Gelegenheit hatte. Aber selbst wenn diese beiden Polizistinnen es geschickt angestellt hatten, viel konnte Noras Mutter ihnen gar nicht verraten haben. Denn sie wurde weder von ihr noch von ihrem Bruder oder ihrem Vater in das eingeweiht, was wirklich wichtig war. Das besprachen die drei bei der Jagd. Beim anschließenden »Tottrinken« kamen die bedeutenden Themen auf den Tisch. Noras Mutter hatte nie an einer dieser Runden teilgenommen.
»Was kann ich denn für Sie tun?«, fragte Nora, als sie sich – noch im Judoanzug – auf den Stuhl gegenüber den Polizistinnen fallen ließ. Sie musste dringend unter die heiße Dusche, spürte, wie kalt sie geworden war, immerhin herrschten draußen Temperaturen unter zehn Grad, und das bei kaltem Wind aus Nordwest.
»Wir wussten gar nicht, dass Sie Kampfsport betreiben«, stellte die Blonde, Christine Cordes, überrascht fest. »Gehört das mit zum Studium?«
»Nein. In meinem Bereich nicht.« Nora lächelte. »Judo begleitet mich seit meiner Schulzeit. Sie meinen mit Kampfsport sicher das Jiu-Jitsu. Judo ist eine verwandte Form, allerdings ohne die gefährlichen Techniken wie Schläge und Tritte.«
»Also würden Sie Judo als harmlos einstufen?«, fragte die andere argwöhnisch.
Nora Brandis lachte auf. »Auf gar keinen Fall. Judo kann genauso gefährlich sein. Aber Judo bedeutet so viel wie ›sanfter Weg, Weg des Nachgebens‹. Man soll miteinander kämpfen, ohne sich gegenseitig wehzutun. Eine Art freundschaftliche Form der körperlichen Auseinandersetzung mit vorgegebenen Regeln, wenn Sie so wollen.«
»Und das klappt? Sie kämpfen, keiner tut sich weh, und alle haben sich lieb?« Das fragte die Dunkelhaarige, die, wie Nora sich jetzt erinnerte, Oda Wagner hieß.
»Nein. Das klappt im Turnier natürlich nicht. Da gibt es durchaus mal Verletzungen. Aber das liegt nicht an den Kampftechniken«, betonte sie noch einmal. »Warum interessieren Sie sich überhaupt dafür?« Beunruhigt sah sie die beiden Frauen an. »Hängt es mit Fabians Tod zusammen?«
Christine Cordes ignorierte Noras Frage. »Sie sagten, Sie betreiben Judo seit Ihrer Schulzeit. Das ist ja schon ein paar Jahre her. Welchen Gurt tragen Sie denn? Oder nennt man das Gürtel?«
»Man nennt es Gürtel oder Kyu. Das sind die sogenannten Schülergürtel. Ich trage einen der Meistergürtel, die DAN genannt werden.«
»Dementsprechend wissen Sie eine Menge über Kampftechniken und können sich bestimmt auch selbst verteidigen.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
»Ja«, stimmte Nora zurückhaltend zu.
»Wir haben inzwischen die Ergebnisse der Obduktion. Fabian Baumann ist zweifelsfrei durch Schlagtechniken zu Tode gekommen, die hierzulande verboten sind.«
* * *
Feierabend. Der Tag an Bord der Fregatte war Malte endlos vorgekommen. Wie schon lange nicht mehr hatte er den Dienstschluss herbeigesehnt. Eigentlich kannte er ein solches Gefühl nur, wenn sie nach Monaten auf See dem Heimathafen näher kamen. Dann wuchs das Bedürfnis nach einem Rückzugsraum von Stunde zu Stunde, auch wenn er das natürlich nie offen zugeben würde. Doch dieses Gefühl war irgendwie auch zweischneidig. Einerseits bedauerte er, dass das intensive Zusammenleben zu Ende ging, das alle an Bord wie eine Großfamilie zwangsläufig zusammenschweißte, aber gleichzeitig konnte er es kaum abwarten, über die Stelling zu laufen, alle und alles hinter sich zu lassen und allein zu sein. Seine bisherigen Beziehungen waren an diesem Punkt gescheitert. Keines der Mädels hatte sein Bedürfnis nach Ruhe verstanden, jede wollte ihn sofort nach seiner Rückkehr ins Partyleben mitziehen, fühlte sich vernachlässigt, wenn er nicht jubelnd zustimmte. Bockmist. Die konnten gar nicht so schnell gucken, wie er Schluss machte. Er hatte sich lange genug zurückgenommen und andere im Mittelpunkt stehen lassen. Nun war er selbst dran. Er war derjenige, der wichtig war. Um den er sich als Allererstes kümmern musste. Erst dann kam der Rest.
Malte stellte seinen Audi auf dem Parkplatz hinter dem großen Mehrfamilienkomplex ab, in dem er ein Einzimmer-Appartement bewohnte. Er war ja ohnehin die meiste Zeit an Bord, da musste er nicht unnötig Geld für Miete ausgeben. Bis auf Fabian und Volker, mit denen er ab und zu Skat spielte, hatte er hierher noch niemanden eingeladen, und das würde
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