Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
umgebracht?«
»Es sieht ganz danach aus. Einen Abschiedsbrief gibt es allerdings nicht. Dafür – und nun halt dich fest – sind neben seinen noch weitere Fingerabdrücke auf dem Fläschchen: die von Fabian Baumann.«
»Ist nicht wahr. Die haben beide mit den Tropfen herumhantiert? Aber warum? Ich meine, was haben die davon gehabt?«
»Keine Ahnung. Aber das ist noch nicht mal die eigentliche Sensation.« Oda schien es zu genießen, Christine an der langen Leine zu führen.
»Mensch, mach’s doch nicht so spannend. Was ist die Sensation?«
»Die Sensation, meine Liebe, ist, dass Fabian Baumanns Fingerabdrücke die von Malte Kleen überlagern.«
»Wie? Überlagern?«
»Überlagern eben.«
»Fabian Baumann hat die Flasche nach Kleen angefasst? Aber der ist doch schon seit letzten Sonntag tot. Wie kann er das Fläschchen denn dann kürzlich noch in der Hand gehabt haben?«
»Genau das ist das Rätsel, das es zu lösen gilt.«
* * *
Langsam verschwand die Sonne am Horizont hinter dem Jadebusen, irgendwo bei Sande oder so, genau kannte sich Nora in der Geografie ihrer Umgebung nicht aus. Zumindest war es nicht Dangast oder Varel, die lagen gegenüber. Es war kurz vor halb fünf und bereits dunkel. Nora kam es vor, als sei der Sommer kaum da gewesen, bevor der Winter erneut Einzug gehalten hatte. Sie sehnte sich nach Wärme und Sonnenstunden, fühlte, wie die frühe Dunkelheit auf ihre Seele drückte. Aber das hatte sicherlich auch mit dem zu tun, was um sie herum geschah.
Nach dem Gespräch mit Lutz hatte sie bei Volker angerufen. Keinem von ihnen stand der Sinn nach einem Plausch in einem Café, und so hatten sie sich trotz der Dunkelheit zu einem Spaziergang verabredet. Bewegung und Luft brauchten sie beide. Sie hatten sich am Molenfeuer getroffen, dem Ort, an dem Fabian gefunden worden war. Nora ging hier oft mit Cora spazieren, es war eine der wenigen Möglichkeiten, am Deich mit Blick aufs Wasser laufen zu können, ohne auf eine Herde Schafe Rücksicht nehmen zu müssen. Samstagnachmittags trafen sie sich hier außerdem mit ihrer Hundegruppe. Früher war der Strand der Geniusbank ihr Hundegruppentreffpunkt gewesen, doch die gab es seit Entstehen des neuen JadeWeserPorts nicht mehr. Das war zwar schade, im Zuge der Ansiedelung des neuen Hafens aber notwendig, und solange man ihnen den Bereich der Schleuseninsel ließ und den nicht auch noch durch Industrieansiedlung kaputt machte, war Nora nicht übermäßig böse darüber. Der JadeWeserPort war eine beeindruckende Sache, sie hatte sein Wachsen beobachtet, seit die ersten Arbeiten begonnen hatten. Wilhelmshaven war seit jeher der größte natürliche Tiefwasserhafen Deutschlands, deshalb hatte Kaiser Wilhelm diesen Standpunkt für den Bau seines Kriegshafens ausgewählt, und weil es eben Kaiser Wilhelm gewesen war, trug die Stadt heute seinen Namen. In Zeiten, in denen der Umschlag von Gütern immer schneller und die Containerschiffe immer größer wurden, hatte die ›Grüne Stadt am Meer‹ den Zuschlag für den Bau des neuen Hafens am Fahrwasser der Innenjade erhalten und durch Sandaufspülungen einhundertdreißig Hektar Land gewonnen. Hier konnten Containerschiffe der Triple-E-Klasse mit einem Tiefgang von mehr als sechzehn Metern abgefertigt werden, für die weder Hamburg noch Bremerhaven die nötige Wassertiefe hatten. Nora war letztens mit ihrer Cousine aus Hannover im Info-Center des JadeWeserPorts gewesen und hatte erfahren, dass ein Lkw einen Container, ein Schiff der neuen Generation jedoch unvorstellbare achtzehntausend dieser TEU genannten Transportbehälter fassen konnte und mehr als vierhundert Meter lang war. Faszinierend.
Nora sah zu Cora, die ein Stück vorauslief. Insgeheim beglückwünschte sich Nora zu ihrem Entschluss, einen Weimaraner und keinen Terrier, der ja auch Jagdhund war, angeschafft zu haben, denn im Gegensatz zu Terriern, die ständig auf der Suche nach Neuem und völlig angstfrei waren, gehörte es zur Eigenschaft der Weimaraner, führungsbezogen zu sein. Diese Eigenschaft war etwas, das Nora mit ihrer Hündin gemeinsam hatte. Auch sie war führungsbezogen, so hatte sie sich jedenfalls in der Beziehung mit Fabian gefühlt. Bis er mit seinen Forderungen gekommen war. Bis es immer öfter Streit gegeben hatte.
Jetzt aber lief nicht Fabian, sondern Volker neben ihr. Sie genoss die Ruhe, die er ausstrahlte, das war so wohltuend anders als Fabians Hektik der letzten Wochen. Nach einer kurzen, aber innigen Begrüßung waren
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