Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi
Mord soll im Rotlichtmilieu begangen worden sein. Mord kann jedoch in jedem Milieu vorkommen. – Mord kann in jedem Milieu vorkommen. – Das ist gut.« Sie lächelte und straffte sich. Jetzt wirkte sie wie eine Politikerin.
Zurück zur Redaktion. Ich bezog ein eigenes Zimmer, zwei Türen von Droch entfernt. Bloß für die Dauer der Ermittlungen, und bloß weil der Chefreporter ohnehin vier Wochen in China unterwegs war. »Optimale Nutzung«, nannte das der Chefredakteur. Kein Wunder, dass meine Kollegen sauer waren. Privilegien bei anderen hatte man nicht so gerne. Sollen sie sauer sein, dachte ich. Ein eigener Schreibtisch. Vielleicht lohnte es sich doch, nach mehr zu streben. Eigentlich seltsam, Politik war meinem Blatt gar nicht so wichtig. Aber die meisten Einzelzimmer gab es für Redakteure des Politikressorts. Ich sollte eng mit Droch zusammenarbeiten, hatte mir der Chefredakteur eingeschärft.
Droch war noch immer nicht im Haus. Offenbar hatte er sich einige Stunden schlafen gelegt. Oder konnte es sein, dass er ohne mich weiterzurecherchieren versuchte? Ob ich ihn daheim anrufen sollte? Es war lächerlich, sich Sorgen zu machen. Droch war seit Jahrzehnten im Geschäft. Ich war der Politikneuling. Es war helllichter Tag, was sollte ihm zustoßen? Warum sollte ihm überhaupt etwas zustoßen? Bei mir konnten es Handtaschenräuber gewesen sein. Bellini-Klein hatte Selbstmord begangen. Und Schmidt war ermordet worden. Ein Mord im Prater, nur einige Schritte von einem berüchtigten Lokal entfernt, in dem Stoß gespielt wurde. Wie dieses Spiel ging, wusste ich nicht, es war jedenfalls ein verbotenes Kartenspiel, über das irgendein Exstrizzi sogar ein Buch geschrieben hatte. Ich war damals bei der Präsentation gewesen. Amüsant, wie Wiens bessere Gesellschaft plötzlich die Unterwelt als letzten Schrei entdeckt hatte. Offenbar war den Schickimickis langweilig, ich konnte es ihnen nicht verdenken. Ob es Strizzis und deren Frauen lustiger hatten? Das war zu bezweifeln.
Wo steckte Droch?
Elf Uhr. Improvisierte Pressekonferenz im Wahlbüro des Bündnisses. Zwei Fernsehteams, eine Radioreporterin und eine Hand voll Journalisten und Fotografen warteten auf Johanna Mahler. Ich stand an die Wand gelehnt und beobachtete. Mahlers Pressesprecher sah nervös auf die Uhr. Da betrat die Kandidatin mit ernstem Gesicht den Raum. »Fangen Sie an, oder sollen wir Sie etwas fragen?«, fragte ein sehr junger Fernsehreporter, den ich nicht kannte.
»Sie wollten etwas von mir wissen«, antwortete Johanna Mahler ruhig. Sie hatte sich umgezogen und trug eines ihrer weichen Leinenkostüme. Leger und telegen.
»Was sagen Sie zum Tod von Georg Schmidt? Wird der Vorfall Auswirkungen auf Ihren Wahlkampf haben?«
»Auf meinen sicher nicht, denn er war nicht mein Berater.«
Einige lachten. »In einer Presseaussendung Ihres Büros wird auch der Selbstmord von Bellini-Klein erwähnt. Sehen Sie da einen Zusammenhang? Glauben Sie, dass die Mordspur ins Wahlbüro Ihres Gegners führt?«
Johanna Mahler hob den Kopf ein wenig. »Ich fordere die Polizei auf, möglichst rasch und ohne Vorurteile zu ermitteln.«
»Auch gegen Vogl und sein Team?«
»Das habe ich nicht gesagt. In alle Richtungen, in denen die Polizei Verdachtsmomente ortet. Mir wäre es zu kurz gegriffen, das Rotlichtmilieu für den Mord verantwortlich zu machen. In jedem Milieu kann ein Mord geschehen.«
»Auch im Wahlkampfmilieu?«
»Ich rede davon, dass auch für die Menschen im Rotlichtmilieu Wiens die Unschuldsvermutung gelten muss. Ebenso wie für mich – oder für Wolfgang Vogl.«
»Aber warum versuchen Sie dann, Vogl in die Nähe eines Mordes zu rücken?« Diese Frage kam von einem jungen Mann, den ich kannte: Er war über einen Meter neunzig und hatte supermodische Koteletten.
»Ich versuche keinesfalls, Wolfgang Vogl oder sein Team in die Nähe eines Mordes zu rücken«, sagte sie geduldig. »Was ich möchte, ist, dass die Unschuldsvermutung für alle gilt.«
»Glauben Sie, dass Ihre Chancen im Wahlkampf durch den Mord an Georg Schmidt gestiegen sind?«
»Ich werde weitermachen wie bisher. Mir geht es um einen neuen Stil in der Politik. Um Chancen für alle Menschen. Um ein wirksames Korrektiv …« Die Kamerateams schalteten ihren Scheinwerfer aus. Johanna Mahler sprach über ihr Wahlprogramm, über den Vorrang des Menschen vor der Maschine und über Sozialpakete. Ein wenig später packten auch die letzten Journalisten zusammen. Die TV-Teams rasten davon. Um
Weitere Kostenlose Bücher