Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi
wurde. Aber etwas war anders als bei Bellini-Klein. Ich hatte Schmidt gesehen, ich hatte mit ihm gesprochen. Und zwar fast eine Woche nachdem er angeblich aus dem Wahlkampfgeschäft gewesen war. Hatte er Angst gehabt, als er mich um das Treffen gebeten hatte? Wenn ja, war es ein Fehler gewesen, seine Angst hinter diesem Befehlston zu verbergen. Vielleicht würde er noch leben, wenn ich mich mit ihm getroffen hätte. Oder auch nicht. Ich empfand keine Schuld, sondern eine Mischung aus Angst und dem Drang zu erfahren, was da im Gange war. Ich wusste nicht, was von beidem überwog.
Der Taxifahrer erzählte mir etwas über steigende Zigarettenpreise. Schmidts Ermordung war nicht für alle Thema Nummer eins. Kaum steckte man in einer Geschichte, nahm man rundum schon nichts mehr wahr. In Vogls Wahlkampfzentrale steuerte ich zielsicher auf Orsolics’ Zimmer zu. Im Hauptquartier war alles unverändert und so munter-geschäftig wie immer. Ich klopfte an Orsolics’ Tür und drückte im selben Moment die Klinke. Das Zimmer war abgesperrt. Mein Plan war damit zunichte. Irritiert stand ich vor der Tür. Also dann zu Chloe Fischer. Es wäre einfacher gewesen, Orsolics zu überrumpeln. An der Tür von Chloe Fischers Büro noch einmal das gleiche: klopfen und Klinke drücken. Die Polstertür ließ sich öffnen. Wie erstarrt sah mich die im Zimmer versammelte Gruppe an. Chloe Fischer, aufrecht hinter ihrem Schreibtisch stehend, beide Hände auf den Tisch gestützt. Vor ihr – ebenfalls stehend – Orsolics, der ehemalige Nationalbankpräsident und jetzige formelle Wahlkampfleiter, Vogl und der Pressesprecher.
»Was machen Sie hier?«, fragte Chloe Fischer nach einer langen Sekunde des Schweigens mit eisiger Stimme.
»Ich suche nach Informationen.«
»Lassen Sie sich einen Termin geben. Auf Wiedersehen.«
»Schmidt wollte sich mit mir treffen. Aber es kam nicht mehr dazu. Davor wurde er ermordet.«
Schweigen. Vogl drehte sich zu mir um. Zum ersten Mal gelang es ihm nicht, kompetente Zufriedenheit auszustrahlen. Vielleicht hing es damit zusammen, dass ihm kein passendes Lächeln einfiel. »Was wollte Schmidt von Ihnen?«
Ich zuckte mit den Schultern und überlegte fieberhaft. Ich hatte völlig unüberlegt drauflosgeredet, improvisiert. Blödsinn. Wenn jemand in diesem Raum mit den Todesfällen zu tun hatte, dann war ich dabei, mir selbst eine Grube zu graben. »Ich weiß es nicht. Er wollte mit mir reden.«
»Und warum?« Das war Orsolics, der sich auch zu mir umgedreht hatte.
»Ich weiß es nicht. Er wollte es mir nicht sagen. Jedenfalls war er gestern hier. Und das, obwohl Sie angeblich schon vor einer Woche die Beziehungen abgebrochen haben. Eigenartig, finden Sie nicht auch?«
Chloe Fischer stand noch immer an ihrem Schreibtisch, die Hände aufgestützt. Ihre Halsschlagader pulsierte unter der weißen Haut. »Er hat sich seine Unterlagen abgeholt. Ich müsste Ihnen das nicht erzählen, ich sehe auch keinen Grund, warum wir gerade mit Ihnen zusammenarbeiten sollten.«
»Vielleicht, weil ich mehr weiß. Und weil ich darüber schreiben werde.«
Vogl trat zwei Schritte auf mich zu. Jetzt war ihm wieder ein Lächeln eingefallen. Er lächelte verzeihend und etwas müde. »Dann sollen Sie die ganze Wahrheit erfahren. Die ganze Wahrheit, wir werden sie auch in einer Pressekonferenz sagen.«
Nun kam auch Orsolics auf mich zu, legte mir einen Arm um die Schulter und führte mich zum Schreibtisch. »Wir haben gerade über das traurige Ereignis geredet.«
Mein »Tatsächlich?«, behielt ich für mich.
Vogl nickte Chloe Fischer zu. »Erzählen Sie bitte noch einmal. Und beginnen Sie von vorne.«
Fischer referierte beherrscht. »Die Gründe für die Trennung von Georg Schmidt liegen auf der Hand. Er war zu keiner Zusammenarbeit mit unserem Team bereit, er war nicht bereit, sein Konzept auf unsere Werbelinie abzustimmen, und er hielt Coachingtermine nicht ein. Abgesehen davon war er auch unserem Kandidaten gegenüber von einer unerträglichen Überheblichkeit.«
Es klang, als würde sie über Schmidt zu Gericht sitzen. Die Geschworenen befanden ihn alle für schuldig, bloß war er schon tot.
»Georg Schmidt war gestern – ohne mich oder sonst jemanden darüber zu informieren – noch einmal im Wahlkampfbüro und hat Unterlagen mitgenommen. Nach einer ersten Überprüfung fehlt nichts, es dürfte sich um seine eigenen Unterlagen gehandelt haben, die er laut Auskunft von Frau Müller in einem Aktenschrank aufbewahrt hatte.
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