Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi
auf mein Handy. Verdammt, ein Anruf war registriert. Das konnte nur Droch gewesen sein. In dem Moment läutete es erschreckend laut.
»Ja?«
»Mira, wo bist du?«
»Vor Vogls Wahlkampfzentrale. Die Schläger haben angerufen. Orsolics ist da.«
»Und was willst du jetzt tun?«
»Vesna ist bei mir. Ich weiß noch nicht. Beobachten.«
»Ich komme.«
»Nein.«
Droch hatte schon aufgelegt.
Wir hätten uns rechtzeitig einen Schlüssel zur Wahlkampfzentrale besorgen sollen. Es gab eine Alarmanlage, das wusste ich. War sie eingeschaltet? Hatte Orsolics sie abgedreht? Einige Touristen schlenderten an uns vorbei. Friedliches nächtliches Wien.
Vesna und ich standen in einer Geschäftseinfahrt. Die Touristen bemerkten uns nicht, obwohl sie bloß drei Schritte von uns entfernt waren. Ein gutes Zeichen. Wir starrten ziemlich ratlos nach oben. Dann ging das Licht wieder aus und im nächsten Zimmer an. Orsolics’ Zimmer blieb die ganze Zeit über erhellt.
»Sie durchsuchen alle Zimmer«, flüsterte ich.
»Nein«, widersprach Vesna, »sie putzen ein Zimmer nach dem anderen. Auch die Zeit passt. Ich habe eine Idee: Ich bin Putzfrau und gehe nachschauen. Putzfrauen sind allen egal. Ich kenne das.«
»Das ist viel zu gefährlich.«
»Ich kenne das.« Vesna war bereits zum Motorrad gegangen und holte aus dem hochklappbaren Sitz einige Utensilien hervor: ein Kopftuch, ein Staubtuch, eine Dose Möbelpolitur.
»Warte«, wisperte ich. »Es gibt einen Hintereingang. Dort. Der ist näher zu den Zimmern. Vielleicht ist er offen. Und was machst du, wenn dich die Putzfrauen ausfragen?«
»Werde ich sehen.«
Gerade als wir über die Straße zum Hintereingang gehen wollten, kam ein großer Mann die Gasse entlang. Er trug einen Aktenkoffer. Seine genagelten Schuhe ließen das Pflaster von seinen Schritten widerhallen. Der Mörder, schoss es mir durch den Kopf. Unsinn. Mörder trugen keine Aktenkoffer, sondern Geigenkästen. Mörder bewegten sich leise. Wir blieben in unserer Einfahrt. Der Mann näherte sich dem Hintereingang, zog einen Schlüssel heraus, sperrte auf, stieß die Türe weit auf und ging hinein. Das Licht im Stiegenhaus flammte auf. Geräuschlos war Vesna auf die andere Straßenseite gehuscht. Bevor die Türe ins Schloss fallen konnte, hatte sie diese mit der Hand gestoppt. Vesna winkte mir auffordernd zu. Ich lief über die Straße, und wir verschwanden im Haus.
Wir lauschten den Schritten des Mannes. Erster Stock – wie wir es uns gedacht hatten. Wir hörten eine Türe. Vesna setzte sich das Kopftuch auf, und gemeinsam schlichen wir nach oben. Weit entfernt hörten wir ein Klopfen und einige Worte, die wir nicht verstehen konnten. Wir sahen, dass die Türe zur Wahlkampfzentrale nur angelehnt war. Jemand hatte einen kleinen Holzkeil hingelegt, damit sie nicht zufallen konnte. Vesna nickte zufrieden und flüsterte:
»Ich kenne das. Man muss Müllsäcke nach unten schleppen, Altpapier, alles. Bequemer, die Türe offenlassen. Du bleibst hier, Mira Valensky.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Man kennt dich. Putzfrau ist normal.« Sie legte den Keil so hin, dass die Türe etwas weiter offenstand.
Ich sah mich um. Wenn jemand kam, konnte ich mich am nächsten Treppenabsatz verstecken. Vesna wartete nicht länger. Sie ging den Gang entlang. Ich horchte auf jedes kleinste Geräusch. Vesna deutete auf eine Türe und hob das Staubtuch. Gut, hinter dieser Türe war der Putztrupp. Da der Gang im rechten Winkel abbog, sah und hörte ich bald nichts mehr von Vesna. Ab dort lag der grüne Teppich, der alle Geräusche verschluckte. Und die Türen waren Doppeltüren. Ich stand vor der unscheinbaren hinteren Eingangstüre und fühlte mich hilflos.
Da. Zwei Männerstimmen. Ganz leise. Hatte man Vesna entdeckt? Mir brach der Schweiß aus. Sollte ich hingehen und sie mit einer Ausrede retten? Dann Vesnas Stimme, lauter als sonst. »Putzen«, sagte Vesna in einem viel schlechteren Deutsch, als sie es üblicherweise sprach. »Entschuldigung, nicht wissen … nie …«
Männliches Stimmengemurmel.
»Nix lange, nur stauben. Andere anderes, bitteschön.«
»Sie macht auch nur ihre Arbeit«, verstand ich. Es konnte Orsolics gewesen sein. Eine zweite Stimme erwiderte etwas Unverständliches. Der Mann mit den genagelten Schuhen. Dann hörte ich, wie eine Türe geschlossen wurde. Das Stimmengemurmel der Männer blieb weiter zu hören. Offenbar hatte Vesna es geschafft: Sie war im Zimmer, die Männer waren draußen. Ich konnte nur einzelne
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