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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sagte sie, anscheinend ohne zu merken, dass sie die kindliche Ausdrucksweise benutzt hatte, »und dabei hab ich geträumt, dass die Frau die Wahrheit sagt und du tot bist, Daddy.«
    Ich überlegte, ob ich fragen sollte, wann Pam sie angerufen hatte, aber das würde sie vermutlich nicht mehr wissen, zudem spielte es eigentlich keine Rolle. Aber, mein Gott, hatte Pam nicht gemerkt, dass Ilse unter weit mehr litt als unter Müdigkeit, vor allem im Licht meines Anrufs? War sie taub? Ich war sicher nicht der Einzige, der diese Verwirrung in Ilses Stimme, diesen Überdruss hören konnte. Aber vielleicht war ihr Zustand noch nicht so schlimm gewesen, als Pam sie angerufen hatte. Perse war mächtig, aber das bedeutete nicht, dass sie keine Zeit brauchte, um ihr Werk zu vollbringen. Vor allem aus der Ferne.
    »Ilse, hast du die Zeichnung noch, die ich dir geschenkt habe? Die mit dem kleinen Mädchen und den Tennisbällen? Das Spiel ist aus, so habe ich sie genannt.«
    »Da ist noch was Komisches«, sagte sie. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich anstrengte, verständlich zu sprechen, wie ein von der Polizei angehaltener Betrunkener versucht, nüchtern zu wirken. »Ich wollte sie rahmen lassen, aber ich bin noch nicht dazu gekommen, deshalb habe ich sie mit einem Reißnagel an der Wand des großen Raums befestigt. Du weißt schon, in der Wohnküche. Du hast dort mit mir Tee getrunken.«
    »Ja.« Ich war noch nie in ihrer Wohnung in Providence gewesen.
    »Wo ich sie … sie sehen konnte … aber als ich heimkamte … hnn...«
    »Schläfst du etwa ein? Trau dich ja nicht, wieder einzuschlafen, Miss Cookie.«
    »Schlaf nich …« Aber ihre Stimme wurde leiser.
    »Ilse! Wach auf! Wach auf, verdammt noch mal! «
    »Daddy!« Das klang entrüstet. Aber auch wieder hellwach.
    »Was ist mit der Zeichnung passiert? War sie anders, als du zurückgekommen bist?«
    »Sie war im Schlafzimmer. Ich muss sie selbst umgehängt haben - sie ist sogar mit demselben roten Reißnagel befestigt -, aber ich kann mich nicht daran erinnern, das getan zu haben.Wahrscheinlich wollte ich sie näher bei mir haben. Ist das nicht komisch?«
    Nein, das fand ich ganz und gar nicht komisch.
    »Ich würde nicht leben wollen, wenn du tot wärst, Daddy«, sagte sie. »Dann würde ich auch tot sein wollen. So tot wie... wie... so tot wie eine Murmel.« Und sie lachte. Ich dachte an Wiremans Tochter und blieb ernst.
    »Hör mir jetzt gut zu, Ilse. Es ist wichtig, dass du genau tust, was ich dir sage. Tust du das?«
    »Ja, Daddy.Wenn’s nicht zu lange dauert. Ich bin …« Ein Gähnen. »… müde. Vielleicht kann ich sogar schlafen, nachdem ich jetzt weiß, dass dir nichts fehlt.«
    Ja, sie habe schlafen können. Genau unter Das Spiel ist aus , der an einem roten Reißnagel hängenden Zeichnung. Und sie sei mit der Gewissheit aufgewacht, dass dieses Gespräch ein Traum war und der Selbstmord ihres Vaters auf Duma Key die Realität.
    Perse habe dafür gesorgt. Diese Hexe. Dieses Miststück .
    Die Wut war wieder da, einfach so. Als wäre sie nie fort gewesen. Aber ich durfte nicht zulassen, dass sie mein Denken durcheinanderbrachte; ich musste sie sogar ganz aus meiner Stimme heraushalten, weil Ilse sonst glauben würde, dass ich auf sie wütend wäre. Ich klemmte mir den Hörer zwischen Ohr und Schulter. Dann streckte ich meine Hand aus und griff nach dem schlanken verchromten Wasserhahn über der Spüle. Meine Faust umklammerte ihn.
    »Es dauert nicht lange, Schatz. Aber du musst es tun. Danach kannst du zu Bett gehen.«
    Wireman saß völlig unbeweglich am Küchentisch und beobachtete mich. Draußen toste die Brandung.
    »Was für eine Art Herd hast du, Miss Cookie?«
    »Gas. Gasherd.« Sie lachte wieder.
    »Gut. Hol die Zeichnung, und steck sie in die Backröhre. Dann schließt du die Tür und stellst die Bratröhre an. So hoch wie nur möglich. Verbrenn das Ding.«
    »Nein, Daddy!« Wieder hellwach, wieder so entrüstet, als hätte ich verfluchte Scheiße gesagt, womöglich noch Schlimmeres. »Ich liebe dieses Bild!«
    »Ich weiß, Schatz, aber das Bild ist schuld daran, dass du dich so unwohl fühlst.« Ich wollte noch etwas hinzufügen, hielt dann aber den Mund. Wenn es die Zeichnung war - und natürlich war sie es -, brauchte ich diesen Punkt nicht eigens zu betonen. Sie würde es so gut wissen wie ich. Statt zu sprechen, rüttelte ich an dem Wasserhahn, als wollte ich ihn erdrosseln, und wünschte mir sehnlichst, er wäre der Hals des elenden

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