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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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derartiger Schrei ist jemals aus der Kehle eines kleinen Mädchens gekommen, das weiß Melda.
    John heult: Melda, lass das!
    Er kniet mit Adie vor sich in den letzten schwachen Ausläufern der Brandung. Der Schaft der Harpune ragt aus ihrer Kehle auf.
    Melda, fass meine Mädchen nicht an!
    Sie hat keine Zeit, auf ihn zu hören, obwohl sie flüchtig an Libbit denkt - wieso hat Libbit die Porzellanfigur nicht ertränkt? Oder hat es nicht geklappt? Hat das Wesen, das Libbit Percy nennt, sie irgendwie daran gehindert? Melda weiß, dass das nur allzu leicht möglich ist; Libbit ist stark, aber eben noch ein Kind.
    Keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie greift nach der anderen Untoten, nach Tessie, aber ihre rechte Hand ist nicht wie ihre linke, nicht durch Silber geschützt, und Tessie wirft sich knurrend herum und beißt zu. Melda spürt einen schwachen stechenden Schmerz, aber nicht, dass zwei ihrer Finger ganz und ein dritter zur Hälfte abgebissen sind und jetzt neben dem bleichen Kind im Meer treiben. Dafür flutet zu viel Adrenalin durch ihren Körper.
    Über dem Hügel, über den Schwarzhändler manchmal Wagenladungen von geschmuggeltem Schnaps transportieren, steht inzwischen eine schmale Mondsichel, die diesen Albtraum zusätzlich in schwaches Licht taucht. Es zeigt Melda, wie Tessie sich erneut ihrem Vater zuwendet, wie Tessie wieder die Arme nach ihm ausstreckt.
    Daddy! Daddy, bitte hilf uns! Nan Melda ist verrückt geworden!
    Melda handelt instinktiv. Sie greift vorn an ihrem Körper vorbei und packt das Kind an den Haaren, die sie tausendmal gewaschen und zu Zöpfen geflochten hat.
    John Eastlake kreischt: MELDA, NEIN!
    Dann, als er die fallen gelassene Harpunenpistole aufhebt und den Sand in der Umgebung der Leiche seiner Tochter nach der zweiten Harpune absucht, meldet sich eine weitere Stimme. Diese erklingt hinter Melda, von Bord des Schiffs, das draußen im caldo ankert.
    Sie ruft: Du hättest dich nie mit mir anlegen sollen.
    Melda, die das Tessie-Wesen weiter an den Haaren gepackt hält (es wehrt sich und strampelt, aber das nimmt sie kaum wahr), dreht sich schwerfällig im Wasser um und sieht sie in ihrem roten Umhang an der Reling ihres Schiffs stehen. Ihre Kapuze ist zurückgeschlagen, und Melda sieht, dass sie nicht einmal entfernt menschlich, sondern etwas anderes , etwas außerhalb allen menschlichen Verstehens ist. Im Mondschein ist ihr Gesicht grausig und voller Wissen.
    Aus dem Meer recken sich dünne Skelettarme, um sie zu grüßen.
    Eine Brise teilt die Schlangen, die ihr Haar bilden, und Melda sieht das dritte Auge in Perses Stirn; sie sieht, dass es sie beobachtet, und büßt augenblicklich jeglichen Widerstandswillen ein.
    Doch in diesem Augenblick wirft die Schlampengöttin den Kopf herum, als hätte sie gehört, dass jemand oder etwas sich auf Zehenspitzen von hinten an sie heranschleicht.
    Sie ruft: Was?
    Und dann: Nein! Stell das ab! Stell das ab! DAS DARFST DU NICHT TUN!
    Aber Libbit kann - und hat es offenbar doch getan, denn die Gestalt an der Reling schwankt … wird wässrig … und löst sich dann in Mondschein auf. Die Skelettarme gleiten wieder unter Wasser und sind verschwunden.
    Auch das Emery-Wesen ist fort - verschwunden -, aber die Zwillinge kreischen gemeinsam vor Schmerz und Verzweiflung darüber, dass sie verlassen worden sind.
    Melda ruft dem Mister zu: Jetzt ist es überstanden!
    Sie lässt das Wesen los, das sie an den Haaren gepackt hatte. Sie glaubt nicht, dass es noch etwas mit Lebenden zu tun haben will, nicht jetzt und noch für eine ganze Weile nicht.
    Sie ruft: Libbit hat’s geschafft! Sie...
    John Eastlake brüllt: HÄNDE WEG VON MEINEN TÖCHTERN, NIGGERSCHLAMPE!
    Und er schießt zum zweiten Mal mit der Harpunenpistole.
    Sehen Sie, wie die Harpune trifft, wie sie Nan Melda durchbohrt? Dann ist das Bild fertig.
    O Gott, endlich - das Bild ist fertig.

20
    Perse
    I Das Bild - nicht das letzte echte Kunstwerk Edgar Freemantles, aber das vorletzte - zeigte John Eastlake am Shade Beach kniend mit seiner toten Tochter neben sich und der eben erst aufgegangenen Mondsichel hinter sich. Nan Melda stand hüfttief im Wasser, hatte auf beiden Seiten je ein kleines Mädchen neben sich; ihre nassen, erhobenen Gesichter lang gezogen von einem Ausdruck, aus dem Wut und Entsetzen sprach. Der Schaft einer dieser kurzen Harpunen ragte zwischen den Brüsten der Frau hervor. Ihre Hände umklammerten ihn, während sie ungläubig den Mann anstarrte, dessen Tochter sie so

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