Wahn und Willkür: Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt (German Edition)
eindeutig, dass sie tatsächlich ohnmächtig geworden war – es konnte genauso gut bedeuten, dass sie nur kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren. Doch Brixner und Heinemann erwähnten auch diese Abweichung nicht. Darüber hinaus führten sie an, die Bisswunde hätte geblutet, obwohl das nicht im Attest stand. Und Mollath habe seine Frau mehrmals mit den Füßen gegen die untere Körperhälfte getreten – auch das hatte sie der Ärztin gegenüber laut Attest nicht behauptet. Dennoch heißt es zu alldem wahrheitswidrig im Urteil, die Schilderung Petra Mollaths vor Gericht sei »durch ein ärztliches Attest von Dr. Madeleine Reichel … vom 03 . 06 . 2002 bestätigt« worden.
Abgesehen davon war nicht auszuschließen, dass das Attest ein Gefälligkeitsattest war – schließlich war es, wie erwähnt, erst ein Dreivierteljahr nach der angeblichen Misshandlung ausgestellt worden. Die Lebensgefährtin von Petra Mollaths Bruder war in dieser Praxis Sprechstundenhilfe, wie Gustl Mollath herausfand. Die von ihm beantragte Vernehmung der Ärztin wäre daher unerlässlich gewesen, wurde aber von den Richtern abgelehnt.
Im Übrigen: Woher wollte die Ärztin wissen, dass die blauen Flecken am Hals Würgemale waren? So etwas konnte nur ein Gerichtsmediziner feststellen. Und wer hatte die blauen Flecken verursacht? Als Jurastudent habe ich bei einem Prozess wegen versuchter Vergewaltigung erlebt, wie die Frau plötzlich zugab, die angeblichen Würgemale seien in Wahrheit Knutschflecken, die von ihrem Liebhaber stammten. Man denke daran, welche Mühe sich im Fall Kachelmann das Gericht machte, um die Herkunft der Verletzungen der betreffenden Frau aufzuklären. Es holte Gutachten von Gerichtsmedizinern ein und psychologische Gutachten, um die Glaubwürdigkeit der Frau festzustellen. Das Gericht sprach Kachelmann frei nach dem Grundsatz »im Zweifel für den Angeklagten«, Brixner und Heinemann entschieden genau umgekehrt.
Die beiden Richter stellten Petra Mollath ein uneingeschränktes Redlichkeitszeugnis aus. Sie sei völlig glaubwürdig und habe keinen Belastungseifer gezeigt. In Wirklichkeit aber konnten sie unmöglich verkannt haben, dass Petra Mollath ein massives Interesse daran haben musste, ihren Mann mundtot zu machen. Im Scheidungsverfahren hatte ihr Mann bereits in einem Brief vom 11 . Juni 2003 an den zuständigen Richter beim Amtsgericht angezeigt, dass seine Frau Schwarzgeldverschiebungen betreibe und ein Konto in der Schweiz habe, auf das ihr hierfür Provisionen überwiesen worden seien. Wenn das zutraf, dann hatte sie gute Gründe, ihn zum Schweigen bringen. Anderenfalls musste sie fürchten, selbst jahrelang ins Gefängnis zu kommen.
Mit einer bloßen Verurteilung ihres Mannes zu einer relativ kurzen Freiheitsstrafe, sei es mit oder ohne Bewährung, wäre ihr bei diesem Szenario nicht gedient gewesen. Er würde dann trotzdem – sogar erst recht – Strafanzeigen erstatten. Nur wenn er für geisteskrank erklärt und als gemeingefährlich weggesperrt wurde, konnte sie sich in Sicherheit fühlen. Die Strafanzeigen eines Geisteskranken würde niemand ernst nehmen.
Dazu passte, dass Petra Mollath sich plötzlich drei Monate nach der Anzeige ihres Mannes im Scheidungsverfahren, unmittelbar vor dem Prozess vor dem Amtsgericht, die Stellungnahme einer Fachärztin für Psychiatrie besorgte und dem Gericht über ihre Anwälte zuleitete. Darin attestierte die Ärztin, den Schilderungen Petra Mollaths zufolge leide ihr Ehemann »mit großer Wahrscheinlichkeit« an einer ernst zu nehmenden psychiatrischen Erkrankung, aufgrund deren eine erneute Fremdgefährlichkeit zu erwarten sei. Sie habe daher der Ehefrau empfohlen, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen und eine »psychiatrische nervenärztliche Abklärung« bei ihrem Ehemann anzustreben.
Die besagte Fachärztin war im Klinikum Erlangen am Europakanal beschäftigt. Petra Mollath wohnte in Nürnberg, wieso wandte sie sich an diese Klinik in Erlangen? Was erwartete sie sich von dort? Bald stellte sich heraus, dass der Chefarzt der dortigen Forensischen Psychiatrie Dr. Wörthmüller war – jener Arzt, der Mollath später untersuchen sollte. Gustl Mollath sah einen Zusammenhang mit der Herkunft des Attests.
Keinen Belastungseifer habe Petra Mollath gezeigt, behaupteten Brixner und Heinemann. Wie ist dann ihr Versuch zu werten, ihren Mann mithilfe eines derartigen Attests für geisteskrank und gemeingefährlich erklären zu lassen? Und das zwei Jahre, nachdem sie sich
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