Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
und Teams sammeln derweil weiter Fakten, Bilder und Interviews. Dennoch: würde ein Korrespondent grundehrlich auf die Moderatorenfrage antworten, wie er denn selbst die Situation am Ort erlebe, müsste er oft auch hier draußen einräumen, dass er die allermeiste Zeit an seinem Schnittplatz im Motelzimmer sitzt.
Mitgebrachte Müsliriegel ersetzen Mahlzeiten. Laptops und Satellitenleitungen brechen zusammen. Live-Gespräche scheitern an simplen Telefon-Rückleitungen. Tontechniker löten Mischpulte neu und grillen um Mitternacht noch nebenbei ein Huhn für alle, weil im einzigen Laden sonst nichts mehr zu kaufen war.
Die Berichterstattung dieser Wochen wird aber durch eine andere Eigenheit geprägt. Denn hier kämpfen von nun an nicht nur Küstenschützer gegen den Ölteppich und Ingenieure, die das Bohrloch stopfen sollen, gegen die Zeit. Im Hintergrund des Umweltdesasters tobt auch eine einzigartige PR-Schlacht zwischen dem BP-Konzern, der Obama-Administration und der Opposition in Washington.
Den ersten ölverschmierten Pelikan reinigen Tierschützer in einer nahen Zeltanlage. Sein Gefieder schäumt vor Lösungsmittel. Es gibt Experten, die es unsinnig nennen, den Tieren noch helfen zu wollen. Auch an den Folgen der Putzprozedur würden sie sterben, nur eben etwas später. »Es wird darauf ankommen, wie schnell wir sie finden und reinigen können«, meint eine Freiwillige der Organisation »Wildlife Support«. Was stimmt, vermag ich nicht zu sagen. Mir bleibt nur, beide Seiten zu zitieren.
Leichter zu deuten sind die geschönten Erklärungen der BP-Konzernsprecher, die zuerst versichern, dass sie die Quelle rechtzeitig schließen, dann, dass sie die Küste vor dem Öl schützen, und zuletzt, dass sie die verschmutzte Natur »bis auf den letzten Tropfen« wieder vom Öl befreien würden. Da ist längst klar, dass ihre Aufgabe nur ist, die Öffentlichkeit zu beruhigen.
Auch die Meldungen der US-Küstenwache klingen positiver, als sie sind. Sie verbreiten Superlative, wonach bereits 100 Kilometer Schwimmbarrieren gegen das Öl ausgelegt seien. Tatsächlich leisten die Teams aus Fischern, Freiwilligen, BP-Leuten und Küstenschützern, was sie können. Doch die Meldungen erwähnen nicht, dass die Küste Tausende von Kilometern lang ist, dass der Ölteppich mehr und mehr wächst, wie die Satellitenbilder zeigen, und dass keiner weiß, wohin die Wirbelstürme, die in der Golfregion bald aufkommen, ihn treiben werden.
Dazu kommt das Scheitern im Kleinen. Als unser Team mit einer Handvoll Journalistenkollegen im Boot der Küstenwache den Rand des Ölteppichs ansteuert, bricht der Kapitän die Tour vorzeitig ab. Zu stürmisch ist die See. Und Einsatzleiter Patrick Kelley sieht auch selbst, wie das Wasser jetzt schon über die Schwimmbarrieren schwappt – oder sie gar völlig auseinanderreißt. »Vor allem, wenn sie zu weit draußen liegen, ist wenig gewonnen«, sagt er uns. »Dann geht auch das Öl einfach darüber hinweg.«
Unterdessen wächst bei den Fischern, denen BP nun Arbeitsverträge als Küstenreinigungsgehilfen anbietet, der Unmut. Als wir bei einer Versammlung auftauchen, umgarnt ein Firmenmann die schweigsamen Anwesenden mit dem Versprechen, mit allen fair zusammenarbeiten zu wollen. Doch bald bemerken wir, dass sich im Hintergrund Polizeibeamte bereithalten. Denn viele Männer sind recht angespannt, seit sie im Kleingedruckten lesen, dass sie mit ihrer Unterschrift auf Schadensersatzklagen gegen den Konzern verzichten würden. Dabei ist sicher, dass der Region durch die Katastrophe Milliarden an Einnahmen verloren gehen. Erst auf Drängen der Obama-Regierung wird BP später den Vertragspassus für nichtig erklären – und einen Milliardenfonds für Entschädigungszahlungen einrichten.
Als BP schließlich auf Druck aus Washington die Live-Bilder seiner Arbeitskamera am Meeresgrund freischaltet, die beobachtet, wie viel Öl aus dem kaputten Bohrventil strömt, ist der Ruf des Konzerns endgültig dahin. Denn schnell folgern unabhängige Experten, dass in Wahrheit weitaus mehr Öl austritt, als der Konzern zugegeben hat. Über Monate hin verfolgt die Welt danach ein Trauerspiel gescheiterter Versuche, das Leck zu schließen. Als wären Hollywood-Regisseure am Werk, taufen Firmensprecher sie »Bottom Kill« oder »Top Kill« – während die Zuschauer sich fragen, warum Tiefseebohrungen von immer gigantischeren Plattformen aus stets als beherrschbar angepriesen wurden.
»Wir werden BP nicht aus der
Weitere Kostenlose Bücher