Wahnsinn, der das Herz zerfrisst
Güte, grüner Himmel! Haben Sie den Himmel schon einmal grün gesehen?« Shelley schwieg lächelnd, und Trelawny warf verärgert ein: »In England ist der Himmel sehr oft eher grün als blau.«
»Sie meinen, er ist schwarz«, antwortete Byron.
Shelley hatte ihn überredet, an dem »Don Juan« weiterzuarbeiten, und Byrons Verleger Murray fühlte sich hin und her gerissen. »Er will, daß ich zu meinem früheren Korsar-Stil zurückkehre. Das verkauft sich bei den Damen besser, wie Caro Lambs Romane«, erzählte Byron Shelley. Shelley verzog das Gesicht. »Das wäre Lohnschreiberei. Ein Genie sollte sich durch solche Dinge nicht beeinflussen lassen.« Byron erwiderte: »Murray hat ein verdammt starkes Argument - er bezahlt mich. Von dem ›Korsar‹ setzte er immerhin an einem Tag zehntausend Stück ab, um von ›Childe Harold‹ ganz zu schweigen.«
Er seufzte. »Der arme Murray! Die Dramen, die ich ihm schicke, kann er nicht aufführen lassen, weil sie unspielbar sind.
Und den ›Donny Johnny‹ muß er anonym publizieren, um nicht in der Luft zerrissen zu werden.« Byron gähnte, »Wie auch immer, ich hätte sowieso keine Lust, noch einmal ›Lara‹ oder
›Childe Harold‹ zu schreiben.« Shelley zitierte langsam: »Von Lust vergiftet, lechzt er fast nach Qual/ und sucht Verändrung, sei’s im Schattental.« Byron blinzelte ihm zu. »Was zitieren Sie denn da für einen Blödsten, Schlange?«
Das heitere und geruhsame Leben in Pisa wurde jäh unterbrochen, Byrons Tochter Allegra war in ihrem Kloster an einer Typhusepidemie gestorben. Dieser Tod traf nicht nur Byron; denn Shelley hatte nie seine Vorliebe für das kleine Mädchen vergessen und sie öfters bei ihren Nonnen besucht. Byron wollte, daß sie in der Kirche von Harrow bestattet würde, und ließ ihren Leichnam nach England überführen. Er verband die angenehmsten Erinnerungen mit Harrow und dort »möchte ich Allegra begraben haben - und an der Wand - eine Marmortafel angebracht mit diesen Worten:
Zum Gedenken an
Allegra -
Tochter von G. G. Lord Byron -
die starb in Bagnacavallo
in Italien, am 20. April 1822,
im Alter von fünf Jahren und drei Monaten.
›Ich werde zu ihr gehen, aber sie wird nicht zu mir zurückkehren.‹
2. Samuel 12.-23. -
… ich darf wohl hoffen, daß Henry Drury vielleicht die Messe liest.« Nicht nur Henry Drury, Byrons ehemaliger Schulleiter, sondern auch der jetzige Dekan von Harrow wiesen ab. Schließlich handelte es sich um ein uneheliches Kind!
Sein wachsender literarischer Ruhm war dafür ein nur kleiner Trost, trotzdem gab ihn Byron mit Genugtuung an seinen Verleger weiter: »Man erzählt mir auch von bedeutenden literarischen Ehren in Deutschland. - Goethe, sagt man mir, sei mein erklärter Gönner und Beschützer… Goethe und die Deutschen sind besonders von ›Don Juan‹ begeistert - den sie für ein Kunstwerk ansehen… all das ist ein wenig Entschädigung für eure englische Brutalität.«
Was Byron bisher über Goethe gehört hatte, brachte ihn höchstens zum Lachen. Der deutsche Literatefürst hatte zusammen mit »Manfred« auch Caro Lambs »Glenarvon« gelesen und war durch die Andeutungen in beiden Werken ZU der erstaunlichen Schlußfolgerung gekommen, Byron müsse in seiner Jugend in Florenz eine Affäre gehabt haben, bei der der Ehemann der betreffenden Donna diese in einem Eifersuchtsanfall tötete und dafür seinerseits von dem jungen Dichter umgebracht wurde.
»Leider kam ich erst viel später nach Florenz, es ist eine so schöne Romanze«, sagte Byron und taufte die ganze Angelegenheit »Goethes Florentiner Ehemannsmordgeschichte«.
»Er ist ein alter Fuchs«, äußerte er sich einmal über den Deutschen, »der nicht aus seinem Bau herauskommen will.« Doch wenn dieser alte Fuchs ihn so sehr protegierte - nun, das konnte man als wahrhaft bedeutende Würdigung ansehen. Byron hatte Shelley, der im Unterschied zu ihm Deutsch verstand, dazu gebracht, mit einer Übersetzung des Faust anzufangen, war fasziniert und entschloß sich, sein neues Drama dem »alten Fuchs«
zu widmen:
DEM BERÜHMTEN GOETHE
dem ersten der lebenden Autoren, der
seinem Land eine Literatur geschaffen und
die Europas verherrlicht hat,
wagt ein Fremder eine Huldigung darzubringen, wie sie dem literarischen Vasallen gegenüber
seinem Lehnsherren gebührt…
Der alte Mann in Weimar, schon seit jeher ein Byron-Enthusiast, fühlte sich geschmeichelt. Als er sogar das handschriftliche Exemplar
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