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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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der Widmung erhielt, ließ er eilig einige Faksimiles davon anfertigen und zeigte sie jedem literarischen Pilger, der ihn aufsuchte, als eines seiner wertvollsten Besitztümer. Er erklärte Byron zum größten Dichtertalent des neunzehnten Jahrhunderts.
    Kurz darauf starb Annabellas Mutter, Byron regte der Todesfall ZU einigen sentimentalen Betrachtungen über die Hinfälligkeit alles Seins an. Da er aber vor dem Gesetz noch immer mit Annabella verheiratet war, erbte er nun von Judith Milbanke die Hälfte des beträchtlichen Noelschen Vermögens. Byron war mit einem Mal aller irdischen Sorgen enthoben. Ohne Bedenken reihte er den Namen Noel - einzige Bedingung in dem Testament - hinter seine Vornamen George und Gordon ein und machte sich fortan ein Vergnügen daraus, mit N. B. zu unterzeichnen »wie Napoleon«.
    Am achten Juli 1822 segelte Shelley mit seinem neuen Boot
    »Don Juan« von Livorno nach La Spezia. Nachmittags um drei Uhr kam ein heftiger Sturm auf. Vier Tage lang warteten alle vergeblich auf seine Rückkehr. Dann stand endgültig fest, daß Shiloh ertrunken war. Fischer hatten seinen angeschwemmten Leichnam eilig verscharrt, doch der Pisaner Zirkel erhielt die Erlaubnis für eine Exhumierung, um Shelley sein gewünschtes Begräbnis zu ermöglichen. Byron, Leigh Hunt und Trelawrty verbrannten den grauenvoll zugerichteten Leichnam auf einem riesigen Scheiterhaufen, in den sie Wein, Weihrauch und Öl schütteten.
    Als Trelawny wie ein heidnischer Opferpriester unverständliche Gesänge von sich zu geben begann, stürzte sich Byron in das Meer und schwamm bis zu seinem Boot, das vor der Küste verankert lag. Von dort aus beobachtete er den singenden Trelawny und Hunt, der begann, um das Feuer zu tanzen.
    »Sie sind alle gewaltig im Irrtum über Shelley, der ohne Ausnahme - der beste - und am wenigsten selbstsüchtige Mensch war, den ich je gekannt habe. - Ich habe niemanden gekannt, der nicht ein Rohling im Vergleich war.«
    Mit Shelleys Tod begann die Phase des Abschiednehmens. Byron und Theresa besuchten die gebrochene Mary mindestens zweimal in der Woche und versuchten sie zu trösten. »Ich glaube nicht, daß die Stimme irgendeiner anderen Person dieselbe Macht hat, Melancholie in mir zu erwecken, wie Albes«, schrieb Shelleys Witwe in ihr Tagebuch. »Ich war daran gewöhnt, zuzuhören, wenn sie erklang… eine andere Stimme, nicht meine, antwortete immer… Wenn Albe spricht und Shelley nicht antwortet, ist das wie ein Donner ohne Regen - die Form der Sonne ohne Hitze oder Licht… und ich höre mit einer unaussprechlichen Trauer zu, die trotzdem nicht nur Schmerz ist.«
    Die Verbrennung von Shelleys Leichnam hatte noch ein entwürdigendes Nachspiel, denn Trelawny hatte aus den Flammen Shelleys Herz und seinen Schädel gerettet. Hunt beanspruchte nun das Herz für sich und weigerte sich, es Mary zu überlassen, sosehr ihn Byron und Trelawny auch beschworen. Letzterer bedauerte schon längst seine Unklugheit, die so mühsam gerettete Reliquie überhaupt Hunt gegeben zu haben.
    »Was will Hunt mit dem Herzen?« fragte Byron abgestoßen.
    »Er stellt es doch nur in ein Glas und wartet darauf, daß es ihn zu Sonetten anregt.« Shelley hätte das Ganze im höchsten Maß lächerlich gefunden. Trelawny warf Byron einen mißtrauischen Blick zu. »Sie sind doch nicht selbst daran interessiert, oder?«
    Byron schüttelte den Kopf. »Weder am Herz noch am Schädel.«
    »Den Schädel würde ich Ihnen auch nicht geben«, sagte Trelawny. »Ich weiß, daß Sie aus Totenköpfen Weinkelche machen, und bin entschlossen, Shelley vor einer solchen Blasphemie zu schützen.«
    Letztendlich gab Leigh Hunt nach. Byron entschloß sich, mit dem ganzen Kreis nach Genua zu übersiedeln, denn Pisa barg zu viele Erinnerungen. Er schrieb für Mary an Shelleys Vater, Sir Timothy. Doch dieser zeigte sich unerbittlich und wollte von seiner Schwiegertochter nichts wissen. Er sei allerdings unter Umständen bereit, Marys einziges überlebendes Kind, den Sohn Percy, als seinen Erben anzuerkennen, wenn Percy sofort seiner Obhut übergeben werde und seine Mutter verspräche, ihn nie wiederzusehen. Mary lehnte ab.
    Byron war durch seine Erbschaft in der Lage, den gesamten Kreis zu unterhalten, einschließlich Leigh Hunts mit seinen neun Kindern. Da er jedoch wußte, daß Mary, anders als Hunt, diese Lage als demütigend empfand, beschäftigte er sie als eine Art Sekretärin, die seine Manuskripte in Reinschrift übertrug.
    Mary fand in der

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