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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Arbeit Ablenkung und hatte so nicht das Gefühl, Almosen zu empfangen. Doch schon bald zeigte sich, daß der Kreis nach Shelleys Tod nicht mehr derselbe war.
    Byron stritt sich immer öfter mit Leigh Hunt, dessen Zeitschrift The Liberal kläglich eingegangen war. Hunt wohnte mit seiner gesamten Familie bei Byron, was diesen in seinen sämtlichen Vorurteilen über Kinder bestätigte, denn nichts im Haus blieb vor der Spiel- und Zerstörungswut der Kinder bewahrt. »Sie sind schmutziger und boshafter als Gorillas«, sagte Byron zu Mary, »und was sie nicht mit ihrem Schmutz ruinieren können, machen sie mit ihren Fingern.«
    Zu seiner Verblüffung verharrte Mary in Schweigen. Obwohl sie im Zusammensein mit anderen keine Tränen zeigte oder andere Anzeichen von Trauer erkennen ließ, strahlten ihre zarte, fast zu magere Gestalt und das undurchdringliche Gesicht eine Einsamkeit aus, die überwältigend war. Sie hatte an einem neuen Roman zu schreiben begonnen, aber was Byron jetzt auf ihrem Sekretär liegen sah, war ein einzelnes Blatt, auf dem nur ihr Name in mehreren Variationen stand. Mary Shelley - Mary Godwin - Mary Wollstonecraft Godwin - Mary Wollstonecraft Shelley. Sie folgte seinem Blick und sagte abwesend, fast unabsichtlich: »Ich habe immer Angst vor meinem Namen gehabt…
    weil es nie wirklich meiner war. Es war der Name meiner Mutter, und sie starb an dem Tag, an dem ich geboren wurde… als hätte ich ihr Leben gestohlen, zusammen mit dem Namen…«
    Sie brach ab, und ihr Gesichtsausdruck verriet, daß sie viel mehr preisgegeben hatte, als ihre Absicht gewesen war. Sie straffte sich und kam auf den Anlaß ihres Gesprächs zurück.
    »Sie sollten etwas freundlicher zu Leigh sein, Albe. Ich weiß, er benimmt sich auch nicht gerade beispielhaft, aber er leidet eben unter… unter dem Standesunterschied zwischen Ihnen beiden.«
    Byron zog die Augenbrauen hoch. »Unter dem Standesunterschied? Jedes zweite Mal, wenn ich mit ihm rede, fängt er von den Lastern der Aristokratie an!«
    »Eben«, entgegnete Mary eindringlich, »eben. Er würde lieber sterben als zugeben, daß er Sie um Ihren Titel und Ihr Erbe beneidet.« Byron hielt gerade rechtzeitig den Einwand zurück, daß Leigh Hunt bestens mit Shelley zurechtgekommen war, und Shelley war, wenngleich kein Pair, so doch auch kein Bürgerlicher gewesen. Wäre sein Vater vor ihm gestorben, so hätte er sich »Sir Percy Shelley«
    nennen können. Er zuckte die Achseln und begann, von etwas anderem zu reden.
    Mit einem Menschen auf engstem Raum zusammenzuleben, für den er nur ständig wachsende Feindseligkeit empfand, hatte Byron noch nie positiv beeinflußt. Bald kam es täglich zu Streitereien. Traurig war, daß dieser Zwist mit Hunt auch eine Entfremdung von Mary mit sich brachte. Sie kannte Hunt sehr viel länger als Byron, sah in ihm einen ihrer ältesten Freunde, Als Byron sich endgültig mit Hunt überwarf, zog auch Mary daraus ihre Konsequenzen. Die Vermittlungsversuche von Theresa, die Mary nahestand, halfen nichts.
     
    Zu diesem Zeitpunkt erhielt Byron unerwarteten Besuch, der ihn von den zermürbenden Querelen ablenkte und eine alte, nie vergessene Leidenschaft neu entfachte. Die offiziellen Vertreter des Griechischen Komitees in London, Edward Blaquiere und Andreas Luriottis, kamen zu ihm als dem Dichter, der in ganz Europa als Freund der Griechen bekannt war, und der in seinen Schriften immer wieder zum Kampf gegen die türkische Fremdherrschaft aufgerufen hatte. Sie baten ihn um seine aktive Unterstützung für den griechischen Freiheitskampf. Am dreizehnten Juli 1823 schiffte sich Byron nach Griechenland ein.
    Im letzten Moment erreichte ihn noch eine Überraschung: Goethe aus Deutschland schickte seinen Dank für die Widmung in Form eines Gedichts:
     
    Ein freundlich Wort kommt eines nach dem andern Von Süden her und bringt uns frohe Stunden;
    Es ruft uns auf, zum Edelsten zu wandern,
    Nicht ist der Geist, doch ist der Fuß gebunden.
     
    Wie soll ich dem, den ich so lang begleitet
    Nun etwas Traulich’s in die Ferne sagen?
    Ihm, der sich selbst im Innersten bestreitet
    Stark angewohnt, das tiefste Weh zu tragen.
     
    Wohl sei ihm doch, wenn er sich selbst empfindet!
    Er wage selbst sich hochbeglückt zu nennen,
    Wenn Musenkraft die Schmerzen überwindet;
    Und wie ich ihn erkannt, mög’ er sich kennen.
     
    Leider verstand Byron kein einziges Wort. Lediglich den Begriff »Muse« konnte er identifizieren. Gleichwohl schrieb er dankend zurück

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