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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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weniger Interesse an der griechischen Freiheit als an dem Geld des englischen Lords, randalierten in Missolunghi und weigerten sich letztendlich, wirklich zu kämpfen. Als sie in einem Streit einen schwedischen Leutnant aus dem internationalen Hilfskorps töteten, entließ Byron sie und bestrafte die Schuldigen, was fast auf eine offene Bedrohung in seinem eigenen Haus hinausgelaufen wäre. Er hätte auch eine neue Brigade anheuern können, aber im Moment sahen sich sowohl Griechen als auch Türken zur Tatenlosigkeit verdammt.
    Eine sintflutartige Regenperiode brach über Missolunghi und Umgebung herein. Byron war von der Außenwelt abgeschnitten. Der einzige greifbare Erfolg seines Engagements in Griechenland, dachte er deprimiert, schien die humane Behandlung und Entlassung einiger türkischer Gefangener zu sein, und vielleicht die Einigung einiger griechischer Führer, deren ewiges Gezänk er geschlichtet hatte. Er spekulierte mit dem gewählten Präsidenten über eine griechische Verfassung nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten, eine echte Republik - die Wiederauferweckung Athens. Aber alles Träumen und Planen täuschte ihn nicht darüber hinweg, daß er hier festsaß und nichts tun konnte, während sich zweifellos anderswo das Schicksal Griechenlands entschied.
    Die Untätigkeit machte Byron mürbe. Er begann einen Brief an Augusta, ließ dann Regen Regen sein und litt trotz des stürmischen Wetters aus, in einer Gegend, wo Straßen und Bracken unter Wasser standen. Wenige Tage nach diesem Ausbruch wurde er von schwerem Fieber befallen, das ihn nicht mehr losließ. Schon einmal hatte ihn eine Krankheit in Griechenland niedergeworfen, auf »Childe Harolds Pilgerfahrt« - wie lange war das jetzt her? Vierzehn Jahre? Er erinnerte sich an den Grabspruch, den er damals, erbost über die ungeschickte Behandlung seines Arztes, verfaßt hatte:
     
    Nicht Zeus, Natur und Jugend nicht
    Bewahrten mir des Lebens Licht,
    Denn Romanelli kam, oh Graus,
    Schlug alle drei - und blies es aus.
     
    Die Ärzte in der griechischen Garnisonsstadt übertrafen sogar noch Romanelli. Aderlaß war ihre einzige und bewährte Behandlungsmethode, die sie so häufig wie möglich anwandten.
    Byron verlor mehrere »Pfunde Blut«, wie er Pietro Gamba mitteilte, und wußte, was passieren würde. »Meinen Sie denn«, sagte er zu einem der drei Blutanzapfer, einem idealistischen, ihn bewundernden jungen Engländer, »daß ich Angst um mein Leben habe? Ich habe es von Herzen über und werde die Stunde willkommen heißen, in der ich davon scheide. Warum sollte ich es beklagen? Kann es mir noch irgendeine Freude bringen? Habe ich es nicht im Übermaß genossen? Wenige Menschen können schneller leben, als ich es getan habe…«
    Am neunzehnten April verfiel er ins Delirium. Fletcher, die treue Seele, Weggefährte seit Byrons Universitätstagen, konnte aus dem Gestammel seines Herren nur noch vier Namen ausmachen: Hobhouse, Kinnaird, Ada, Augusta und immer wieder Augusta.
    Es dauerte jedoch nicht lange, bis Byron merkte, daß sie bei ihm war. Sie saß an seinem Bettrand in den alten Kleidern seines Kammerdieners, die sie in Newstead Abbey getragen hatte, und griff nach seiner Hand.
    »Das sieht dir ähnlich«, sagte sie. »Du kannst nicht sterben, ohne daß neben dir ganz Europa in Tränen zerfließt.« Er lächelte ihr zu, »Ich wußte, du würdest kommen.« Sie küßte ihn. »Esel - ich war dein ganzes Leben lang bei dir. Wie sollte ich es jetzt nicht sein?« Er erkannte die Wahrheit in ihren Worten. Sein ganzes Leben lang.
    Byron fühlte, wie alle Zweifel, Schuldgefühle und Ängste ihn verließen, und als er seine Umgebung wieder klar erkennen konnte, fand er die trauernden Gesichter um sich mit einem Mal lächerlich. Wie war das noch? Ganz Europa. Er richtete sich halb auf, fixierte sie spöttisch und sagte laut und vernehmlich auf italienisch: »Oh questa è una bellet scena!«
     
    Als er zurücksank, war George Gordon Noel, sechster Lord Byron, im Alter von sechsunddreißig Jahren gestorben.
 

 Epilog
     
    »Am besten ist es, zu hoffen, sogar das Hoffnungslose.«
    »Alle Antworten sind unklug.«
     
    Als sie von Byrons Tod in Missolunghi hörte, brach Mary Shelley zusammen. »Ich kannte ihn in den hellen Tagen der Jugend, als weder Sorge noch Furcht mich heimgesucht hatten… Kann ich unsere abendlichen Besuche in Diodati vergessen? Unsere Ausflüge auf den See, wo er das Tyroler Lied sang und seine Stimme mit Winden und Wellen

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