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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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abbrach. Für ihn existierte sie nicht mehr. Aus und vorbei. Ihre Briefe schickte er ungeöffnet zurück. Von nun an konnte sie nur noch von Hanson Neuigkeiten über ihren Bruder erfahren; der Familienanwalt, über die Entfremdung zwischen den Geschwistern nicht unterrichtet, war erstaunt, als er ein Billet von ihr erhielt:
    »Bitte seien Sie so freundlich, mir einige Zeilen darüber zu schicken, ob Sie ihn gesehen haben und ob er zurück nach Cambridge gegangen ist…«
    Sie hörte einiges, doch nur das, was Hanson für die Ohren einer jungen Dame für geeignet hielt: Studienerfolge, gewonnene Universitätsmeisterschaften und schließlich die Veröffentlichung eines kleinen Gedichtbandes, anonym allerdings. Ihre Freundin Gertrude Howard erzählte ihr unter dem Siegel der Verschwiegenheit wesentlich pikantere Neuigkeiten: Byron hatte ein Mädchen, als Page verkleidet, zur Jagd mitgenommen - man stelle sich vor! -, hatte seine Kutsche wie das Gemach eines Sultans ausstaffiert, öffentlich seine Bewunderung für Napoleon erklärt und der Gattin des Dekans das Herz gebrochen.
    »Er muß ein fürchterlicher Mensch sein«, sagte Gertrude, um sich gleich darauf nach Byrons näheren Gewohnheiten zu erkundigen. »Glaubst du, er wird jemals heiraten?«
    »Nun«, erwiderte Augusta im Spaß, »er hat einmal erwähnt, daß er dich sehr hübsch fand, damals bei seinem Besuch in Castle Howard.« Lady Gertrude errötete. »Ich kann mich kaum noch erinnern… aber natürlich war er da noch viel jünger als heute…«
    »Jetzt ist er achtzehn«, warf Augusta ein, »und ich sage dir, er wird nicht heiraten.«
    Byron dachte tatsächlich noch lange nicht daran, sich zu vermählen. Doch für Augusta machte der Tod des alten Generals Leigh den Weg zum Altar frei. Mittlerweile war sie zweiundzwanzig und hatte zur Überraschung aller Verwandter an ihrer Kindheitsliebe zu George Leigh festgehalten.
    Cousin George war, trotz redlicher Trauer um seinen Vater, mit dem Lauf der Ereignisse mehr als zufrieden. Er erbte ein kleines Vermögen, das er wirklich brauchen konnte (Augustas Bruder war nicht der einzige, der Schulden machte), werde zum Colonel befördert und konnte endlich seine Verlobte heiraten, der er trotz aller Oberflächlichkeit ernsthaft zugetan war.
    George war vollkommen glücklich, und wenn Augusta einen leisen Schmerz darüber verspürte, daß ihr Bruder weder die Einladung zu ihrer Hochzeit angenommen noch sich dazu bequemt hatte, ein Glückwunschschreiben zu schicken, so ließ sie es sich nicht anmerken.
    Sogar Augustas ehemalige Gouvernante, Mademoiselle Berger, war zur Feier gekommen; sie zerstritt sich ernsthaft mit Lady Carlisle und Lady Chichester. Diese beiden Damen belehrten die Braut, als sie sie zu Bett brachten, im Flüsterton darüber, daß »alles halb so schlimm« sei, und nach dem ersten Kind
    »gewiß nicht mehr so oft« vorkäme. Daraufhin erklärte die leicht beschwipste Französin laut und deutlich: »Alles dummes Zeug! C’est magnifique, ma petite, es gibt nichts Schöneres!«
    Augusta wußte sehr genau, worauf sich das Gerede der Damen bezog. Ihr wäre es allerdings nie in den Sinn gekommen, darin eine unangenehme und lästige Pflicht zu erblicken. Während ihrer Flitterwochen und der darauffolgenden Monate erlebte sie das Erwachen ihres eigenen Körpers. Und da sie die sinnliche Natur ihrer Eltern geerbt hatte, lernte sie bald, auch diese Seite der Liebe zu genießen.
    Nach jener ersten, ungestörten Zeit zu zweit kam der Einstieg in das gesellschaftliche Leben der Hauptstadt. Der König, George III. war in Geisteskrankheit verfallen, und alles scharte sich nun um seinen Sohn, den Prinzen von Wales. George Leigh hatte schon vorher die Bekanntschaft zweier berüchtigter Freunde des neuen Prinzregenten gemacht, Lord Darlington und Sir Harry Fetherstonhaugh, einstmals galanter Beschützer von Nelsons Lady Hamilton. Die beiden vermittelten George Leigh nicht nur die sehr ehrenvolle Freundschaft mit dem Prinzregenten in höchsteigener Person, sondern begeisterten ihn auch für Rennwetten. »Zum Teufel«, sagte er einmal zu Augusta, »so ein Rennen ist ungefähr das Aufregendste, was es gibt.«
    Augusta antwortete nicht, sondern blickte ihren Gatten nur von der Seite an. Er sah noch genauso gut aus wie der Junge, in den sie sich verliebt hatte. Allerdings wirkte sein Gesicht im Moment abgespannt und übernächtigt, was wohl von den endlosen Würfelpartien mit Lord Darlington kam. Warum aber, dachte sie auf

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