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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Taktlosigkeit gab es keine Entschuldigung.
    Sie suchte ihren Brief an Byron hervor, den sie der nächsten Post hatte mitgeben wollen, und zerriß ihn. Auch als er ihr ein formelles Glückwunschschreiben zu der Geburt ihrer Tochter schickte, reagierte sie nicht. Soviel zumindest war sie Lord Carlisle schuldig, der sie fast mitaufgezogen hatte und ihr immer ein guter Freund gewesen war.
     
    Aus einem empörten Brief von Gertrude Howard erfuhr sie den Anlaß zu der Entzweiung zwischen Lord Carlisle und Byron: ihr Bruder, der laut englischem Gesetz immer noch minderjährig war, hatte beabsichtigt, vorzeitig seinen Sitz im Oberhaus einzunehmen. Dazu aber wäre eine offizielle Vorstellung von seiten Lord Carlisles notwendig gewesen, doch Byrons Vormund hatte sich geweigert, da er von dem ganzen Unternehmen nichts hielt und, gesundheitlich bedingt, ohnehin lieber auf seinem Landsitz blieb, statt die anstrengende Reise in die Hauptstadt zu unternehmen. Allein diese Weigerung, nichts anderes, war Byron also Grund genug für seinen Angriff gewesen! Augusta versenkte ihn entschlossen in den hintersten Winkel ihres Bewußtseins.
    Da Augusta ihre Mutter nie gekannt hatte und deswegen entschlossen war, ihren eigenen Kindern soviel Zeit wie nur möglich zu widmen, verzichtete sie auf eine Amme und stellte nur zögernd das traditionelle Kindermädchen, die unentbehrliche
    »Nanny«, ein.
    Augusta erholte sich sehr schnell von der Geburt. Die Mutterschaft hatte sie in eine blühende Frau verwandelt. George Leigh fand sie nach wie vor sehr anziehend und stellte sich bereitwillig nach einem angemessenen Zeitraum ein, um seine Rechte als Ehemann wahrzunehmen.
    Doch kaum hatte er Augusta in die Arme genommen, da begann Georgiana im Nebenzimmer zu brüllen. Mit einem »Oh dear, das Baby«, ließ sie George zurück und eilte zu ihrer Tochter.
    Als sie schließlich, das Kind immer noch im Arm, zurückkam, brachte sie Georges schmerzvoll verzogenes Gesicht zum Lachen. »Geduld«, flüsterte sie, »es ist doch nur, solange sie so klein ist.«
    George Leigh war froh, als die Rennsaison im benachbarten Newmarket zu Ende ging und er einen Grund hatte, Six Mile Bottom zu verlassen und dem Prinzregenten nach London zu folgen. Er verabschiedete sich mit einem bedauernden Kuß von seiner Frau, mit einem weitaus weniger bedauernden von dem Kind und hoffte im übrigen, daß Georgiana bei seiner Rückkehr aus dem schlimmsten Alter herausgewachsen sein würde. Augusta war ebenfalls ein wenig erleichtert, ihn gehen zu sehen.
    Sie hatte sein Unbehagen gespürt. Außerdem forderte die neue Mutterrolle ihre ganze Kraft.
     
    Nachdem jedoch fast zwei Monate seit Georges Abreise vergangen waren, begann Augusta sich sehr einsam zu fühlen. All ihre Freunde befanden sich in London, und sie bekam kaum Besuch. George war nicht sehr schreibfreudig. Neuigkeiten kamen ihr bald so spärlich vor wie gutes Wetter. Ihre Freundinnen Lady Gertrude Howard und Thelma Wesmanscott hatten geheiratet, Napoleon die Österreicher bei Wagram besiegt, und Byron bereiste auf der traditionellen »Kavalierstour« der jungen Aristokraten das Mittelmeer, »den Orient«, wie der streng britische Hanson schrieb. Armer Orient, dachte Augusta und kehrte zu ihrem eintönigem Leben zurück. Doch dann, allmählich, war Georgiana alt genug, um einige Zeit ohne ihre Mutter auszukommen oder auch auf eine Reise mitgenommen werden zu können. Während der sechste Lord Byron den Hellespont durchschwamm und ein türkisches Mädchen davor rettete, wegen ihrer Beziehung zu einem Ausländer ertränkt zu werden, besuchte seine Schwester ihren Gatten in Derby.
    Erst dort wurde sie sich über den Lebensstil ihres Mannes klar.
    George Leigh war noch nie eine sehr vorsichtige und sparsame Natur gewesen, doch inzwischen war er so hoch verschuldet, daß er Six Mile Bottom und alle seine Güter mit einer erheblichen Hypothek belasten mußte. »Keine Sorge, Augusta«, erklärte er großspurig. »Nicht ein einziger Gläubiger wird es wagen, einem Freund des Prinzregenten nahezutreten - und irgendwann muß ich wieder gewinnen!« Das sagte er, bis die Rennsaison in Newmarket begann. Dort verlor er die Protektion des Prinzen. Daß er nicht der einzige war, daß dieses Verhängnis auch andere traf, war bedeutungslos. Es blieb nur die nackte Tatsache, daß von nun an auf Rücksichtnahme von Seiten der Gläubiger nicht mehr zu rechnen war.
    Ein Jockey, den George Leigh mit ein paar Freunden dem Prinzregenten

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