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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Lewis sah verwirrt aus und ließ die Unterlippe hängen.
    »Aber… aber es hat doch nicht geregnet!« stotterte er schließlich. »Eben«, sagte Byron tiefernst und nippte an dem Glas Champagner, das er in der Hand hielt (teure Schmuggelware - Napoleon hatte die Kontinentalsperre gegen England noch nicht aufgehoben), »eben. Sehen Sie, Mönch, hier in England müssen wir alles verkehrt herum sehen. Wie wäre es sonst möglich, daß wir einen Schwachsinnigen als König und einen Idioten als Regenten haben?«
    »Ach, Sie scherzen, Byron«, sagte Lewis befreit und rückte seine Krawatte zurecht, »Sie scherzen. Habe ich Ihnen schon erzählt, wie ich neulich die Blessingtons besuchte?
    Es war…«
    Augusta hörte noch eine Weile höflich zu, mußte sich aber zwingen, nicht einzuschlafen. Sie unterdrückte krampfhaft ein Gähnen und sah dabei zufällig auf ein junges Mädchen, das sich von der kleinen Gruppe, bei der es stand, halb abgewandt hatte und zu den Geschwistern herüberblickte. Sie war hübsch und zierlich, hatte aschblondes Haar und drückte mit ihrer Körperhaltung ein deutliches Selbstbewußtsein aus. Augusta bemerkte, daß die Aufmerksamkeit des Mädchens Byron galt - wem sonst? Sie starrte ihn fast an.
    Für einen kurzen Augenblick trafen sich ihre und Augustas Augen und hielten einander fest. Dann wurde der Blick des Mädchens unstet, flackerte und riß ab. Sie senkte die Augenlider, errötete und verschwand aus Augustas Sichtweite. Augusta schüttelte den Kopf. Neben ihr redete Matthew Lewis immer noch. Sie beschloß, daß es an der Zeit wäre, Byron zu erlösen, und unterbrach den Mönch mit der Frage nach der Identität jenes jungen Mädchens, das sie beschrieb. »Oh«, sagte Byron,
    »das muß die Prinzessin der Parallelogramme sein.« Erläuternd fügte er hinzu: »Annabella Milbanke. Ich wußte nicht, daß sie heute abend hierher kommt.«
    Byron hatte Augusta von seinem mißglückten Heiratsantrag erzählt. Infolgedessen wußte sie einiges über Annabella. Miss Milbanke war klug, belesen und widmete sich hauptsächlich der Mathematik. Bis jetzt hatte sie bereits drei Anträge ausgeschlagen, und ihre Briefe an Byron klangen stellenweise wie Auszüge aus einer Missionarsbiographie. Augusta gestattete sich ein kurzes Schulterzucken. Mönch Lewis hingegen war nicht geneigt, sich von seinem Thema abbringen zu lassen. »Ach, Sie hätten hören sollen, was Lady Blessington zu mir sagte! Sie machte mir ein Kompliment nach dem anderen, ich war so gerührt, daß ich es fast nicht mehr aushalten konnte!«
    »Beruhigen Sie sich, Mönch«, warf Byron trocken ein, »sie kann es unmöglich ernst gemeint haben.«
    Matthew Lewis wußte eine Zeitlang nicht, wie er reagieren sollte. Als ihm schließlich nichts anderes einfiel, bat er Augusta um einen Tanz. Sie willigte ein, um ihrem Bruder Gelegenheit zu geben, sich von den endlosen Monologen zu erholen. Außerdem schien er jetzt in einer bissigen Stimmung zu sein, und der arme Lewis war nicht sehr schlagfertig. Nach einer Weile fragte er: »Haben Sie mein Buch gelesen, Mrs. Leigh?«
    »O ja«, erwiderte sie höflich, »ich fand es wirklich spannend.« Lewis nickte und bemühte sich, den Takt zu halten. »Das dachte ich mir«, sagte er befriedigt, »jeder hält es für spannend. Aber warum laufen die Leute nur weg, sobald ich versuche, ihnen etwas zu erzählen?« Hilfesuchend schaute er sie an. »Das tun sie nämlich manchmal, wissen Sie.« Augusta brachte es nicht über sich, ihm wahrheitsgemäß zu antworten, also lächelte sie lieber ungläubig und murmelte irgend etwas Nichtssagendes. Nach einigen Drehungen bemerkte sie, wie ein leichtes Raunen durch den Saal ging. »Um Himmels willen«, flüsterte Augusta, »Caroline Lamb ist gerade gekommen. Wenn sie Byron sieht, passiert irgend etwas. Mr. Lewis, sie müssen augenblicklich hingehen und sie aufhalten - erzählen Sie ihr eine Geschichte!« Sie ließ seinen Arm los, sah, wie er ihrer Aufforderung Folge leistete, und versuchte, ohne viel Aufsehen möglichst schnell zu ihrem Bruder zu gelangen. Sie fand ihn noch immer auf dem Diwan sitzend, wider Erwarten allein. »Mach dich auf eine Katastrophe gefaßt, laß dir irgend etwas einfallen, löse dich in Luft auf - Caroline ist hier.«
    »Ich wußte gar nicht, daß du sie kennst«, sagte Byron überrascht. Augusta warf ihm einen raschen Blick zu. »Nicht näher, aber ich habe sie früher häufig auf Gesellschaften gesehen. Sie ist immerhin einer der meistbeachteten

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