Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
einem angenehmen Gast, trotz ihres Ticks mit der Familiengeschichte.« Byron nickte. »Ich mochte sie, und auch Wilmots bessere Hälfte, aber er selbst - ehrlich gesagt, ich konnte ihn nicht ausstehen.« Er sah in Augustas Augen den Schalk aufblitzen.
    »Nun, wenn du Gedichte an seine Frau schreibst…«
    »Ein Gedicht!« protestierte ihr Bruder. »Warum nicht? Sie erinnerte mich an eine der Schönheiten aus Tausendundeine Nacht.«
    »Cousin Robert«, sagte Augusta trocken, »hat wahrscheinlich nichts dagegen, wenn sie dich an etwas erinnert, doch er wünscht eben keine Erinnerung bei ihr.« Sie kicherte. »Armer Byron, so unschuldig und ständig von den bösen Frauen verfolgt!«
    »Unsinn, Gänschen, ihr seid alle Hexen und habt mich mit einem hinterlistigen Bann belegt!« Er küßte sie. Sie seufzte leicht und murmelte: »Als Hexe kann ich dir sagen, daß du schon etwas mehr tun mußt, um mich dazu zu bringen, dich von dem Bann zu lösen.«
     
    Einmal wachte er mitten in der Nacht neben ihr auf. Sie zu beobachten, während sie noch schlief, war ein neuartiges Erlebnis, das einen unbeschreiblichen Zauber in sich barg. Ihr Gesicht wurde halb von ihrem verwirrten Haar verdeckt, und über ihrer ganzen Erscheinung schien eine köstliche Ruhe zu liegen. Murray und Fletcher hatten die bewohnbaren Zimmer von Newstead Abbey durch zahlreiche Kohlenpfannen und Kaminfeuer so aufgeheizt, daß es fast schon wieder zu warm war. Augusta mußte sich im Schlaf von der Daunendecke befreit haben.
     
    Er folgte mit den Augen ihren harmonischen Körperlinien, der vollen Brust, den langen Beinen und dem erstaunlich leicht gewölbten Bauch, in dem bläuliche Adern schimmerten.
    So wie sie war, schwanger, mit den ersten kleinen Lachfalten, die sich unaufhaltsam um Augen und Mund gruben, und mit den Händen, die auch nicht mehr die einer Zwanzigjährigen waren, erschien sie ihm doch schöner als alle Mätressen, Ballköniginnen und Porträts, die ihn je beeindruckt hatten. Sie berührte ihn in seinem Innersten. Er wollte sie wecken, verzichtete dann aber darauf und überließ sich dem sanften, ruhigen Rhythmus ihres Atems.
     
    Der Schnee und die Einsamkeit ließ ihm unendlich viel Zeit.
    Augusta sprach von »dem verzweifelten Versuch, sich vor unseren unheiligen Ahnen zu rechtfertigen«. »Bedenke, Byron«, sagte sie mit tiefernster Stimme zu ihrem Bruder, »sie alle hatten ständig so schrecklich wichtige Dinge zu tun, wie Familienfehden zu führen, ihre Frauen zu ermorden und Ratten zu züchten. Und wir sitzen hier herum und albern bloß. Kein Wunder, wenn uns Geister erscheinen!«
    Also schrieb er eine neue Verserzählung (»in Prosa wird mir immer alles zu wirklichkeitsgetreu«), »Der Korsar«, wieder vor griechischtürkischer Kulisse. Die Heldin nannte er Medora, ein Wortspiel mit dem italienischen »me adora«, was sowohl »sie liebt mich« als auch »er liebt mich« bedeuten konnte. Augusta gefiel der Name.
    Wenn er arbeitete, zog sie sich stundenlang in die Bibliothek zurück. »Du glaubst doch wohl nicht, daß ich in Six Mile Bottom viel zum Lesen gekommen bin.« Sie saß dann, die Knie hochgezogen, in einem seiner Sessel und vertiefte sich in das jeweilige Buch, das sie sich geholt hatte. Byron erkundigte sich neugierig einmal nach dem Titel ihrer augenblicklichen Lektüre und erfuhr zu seiner Verblüffung, daß es sich um eine Abhandlung über Schmetterlingsarten handelte, ein Werk, das er dem naturkundeinteressierten Kinnaird verdankte.
    »Warum nicht?« fragte sie ihn neckend. »Vorher hatte ich ›Corinne‹ von Madame de Stael. Da brauche ich Erholung!« Er mußte lachen. »Wenn du sie getroffen hättest, Gus, würdest du das auch sagen.« Augusta blinzelte. »Ich dachte, du magst sie?«
    »Ich mag ihre Bücher und auch sie, für eine halbe Stunde. Die Dame schreibt Oktavbände und redet Folianten!« Eine unerklärliche Traurigkeit überfiel ihn plötzlich und unvermutet, wie ein Schleier aus Asche. »Wie lange wird es noch dauern, Augusta?« Sie wußte sofort, was er meinte. »Solange der Schnee dauert«, antwortete sie ruhig.
    Schnee, der Stern für »Schneeflocke«, wurde zu einem weiteren ihrer Symbole. Als das Wetter sich für kurze Zeit aufklärte und ein paar Tage die Sonne schien, machten sie lange Spaziergänge in dem strahlenden Weiß. Byron war zuerst besorgt. »Schadet dir das denn nicht irgendwie?«
    »Männer!« spottete Augusta und rannte ein Stück die kaum erkennbare Allee entlang. Sie hatte sich von

Weitere Kostenlose Bücher