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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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von Abydos«, Byron selbst hielt nicht viel davon, schrieb es nur, wie er Moore sagte, um sich von der Realität abzulenken - und dennoch schlich sie sich ein. Die Liebenden in seiner Erzählung waren Geschwister. Erst im letzten Moment entschloß er sich, aus ihnen Cousin und Cousine zu machen. Bald darauf kamen die Websters nach Newstead Abbey.
    Der Teufel mochte wissen, was den »kleinen Othello« dazu trieb, ausgerechnet hierherzukommen - war er denn blind? Der Austausch von Billets ging wieder los, die heimlichen Küsse wurden leidenschaftlicher. »Ich glaube, der Piatonismus ist in Gefahr«, erfuhr Lady Melbourne. Aber als Byron Frances eines Abends in seinem Schlafzimmer fand, offensichtlich zwischen Tränen und Hingabe hin- und hergerissen, war er von sich selbst angewidert. Sicher, Webster mochte seine Frau ebenfalls betrügen, aber er liebte sie. Und Byron, das wurde ihm klar, als er Frances’ Gesichtsausdruck sah, empfand nicht den Funken eines echten Gefühls für sie.
     
    Plötzlich kam es ihm widerwärtig vor, diese Frau noch aus dem Brautbett heraus verführen zu wollen. Und das alles noch nicht einmal Frances’ wegen. Er brachte sie mit so viel Zartgefühl wie möglich dazu, wieder zu gehen, und war zum erstenmal in seinem Leben einem Zusammenbruch wirklich nahe. Bald danach reisten die Websters wieder ab.
    In seiner Einsamkeit erreichte ihn ein Brief von Annabella Milbanke. Sie hatte seinerzeit Byrons Heiratsantrag unter dem Vorwand abgelehnt, ihr Herz sei bereits anderwärtig gebunden.
    Nun deutete sie erstmals an, dies sei möglicherweise nicht oder nicht mehr der Fall. Er verspürte keine Lust, ihr zu antworten, jedenfalls noch nicht gleich. Und mit der nächsten Post kam eine Botschaft, die alles andere für ihn unwichtig machte. Augusta schickte eine Locke ihres Haares, zusammen mit einer kurzen Nachricht:
     
    Partager tous vos sentiments
    ne voir que par vos yeux
    n’agir que par vos conseils, ne
    vivre que pour vous, voila mes
    voeux, mes projets, & le seul
    destin qui peut me rendre
    heureuse.
     
    Sie würde zu ihm kommen.
    Die meiste Zeit des Spätherbstes und des beginnenden Winters verbrachte Byron in Newstead, nur gelegentlich war er bei Freunden in London zu sehen. Das einzige, was Lady Melbourne noch zum Thema Frances Wedderburn Webster sagte, war die beiläufige Feststellung: »Sie kommen sehr schnell über Frances hinweg.« Byron zog die Brauen hoch. »Von was zum Teufel soll man sich da erholen? Ein paar Küsse, nach denen es ihr nicht schlechter ging und mir nicht besser.«
     
    Lady Melbourne nippte an ihrer Teetasse und bemerkte schließlich: »Sie schrieben mir, Sie wären bereit, aufs Ganze zu gehen.«
    »Ja«, erwiderte Byron abwesend, »das war ich wohl. Ich glaube, ich hätte mich sogar mit Webster, diesem Idioten, duelliert. Wenn er gewonnen hätte, hätte ich eine schöne Dichterleiche abgegeben. Die Frommen hätten ihre Moral, Sie wären ärgerlich, Lady Oxford würde sagen, es sei meine eigene Schuld, weil ich ihr nicht nach Sizilien gefolgt bin, und Caroline wäre verrückt vor Trauer, daß es nicht ihretwegen geschehen ist.«
     
    Sehnsüchtig erwartete Byron nun das Jahresende in London.
    Augusta mußte in ihrer Rolle als Hofdame der Prinzessin am traditionellen Neujahrsball teilnehmen, und sie hatten verabredet, danach gemeinsam nach Newstead zu fahren. Immer öfter kam ihm jetzt Lady Melbournes Warnung über die Gefahr, in der sie sich beide befanden, störend in den Sinn.
    Für sich persönlich fürchtete er nichts - er konnte sehr gut auch außerhalb von England leben, in Griechenland beispielsweise, das er immer wieder als Kulisse für seine Erzählungen nahm.
    Aber Augusta hatte klargemacht, daß sie ihn nicht begleiten würde, und er wußte, wie Frauen selbst bei einem normalen Ehebruchsskandal behandelt wurden. Und wenn tatsächlich das Undenkbare eintrat und das Gesetz sich einschaltete? Nein, das war unmöglich. Es gab keine Beweise, nicht die geringsten. Nur er und Augusta kannten die Wahrheit, und Lady Melbourne, doch sie hatte sein Vertrauen noch nie mißbraucht. Und es gab keinen Beweis!
    Als er Augusta wiedersah, waren alle Zweifel und Befürchtungen mit einem Mal weggewischt. Sie kam in Begleitung ihrer Freundin, Mrs. Thelma Villiers, bei der sie während ihres kurzen Londoner Aufenthalts wohnen würde. Glücklicherweise hatten sie immer noch ihre Zeichen und Andeutungen, um sich zu verständigen. Nachdem er ihr einen leichten Kuß auf die Wange

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