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Wahnsinns Liebe

Wahnsinns Liebe

Titel: Wahnsinns Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Singer
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was weh?«
    Trudi dreht den Kopf von links nach rechts und wieder zurück, atmet tief ein und stöhnend wieder aus. Dann faltet sie ihre Hände auf der Brust und sagt glasklar: »Der junge Mann küßt die Mama.«
    »Seit wann weißt du das?«
    »Schon länger. Aber am Anfang war es nur so ein bißchen. Jetzt küßt er sie noch ganz anders. So habe ich noch nie jemand küssen sehen.«
    Am nächsten Morgen sagt Schönberg, das Gesicht hinter der Zeitung, als Mathilde ihm den Frühstückskaffee einschenkt: »Unsere Tochter hat mich gestern erwartet. Im Gegensatz zu dir war sie noch wach.«
    Er greift um die Zeitung herum seine Tasse, sie hört ihn schlucken. Sehr laut schlucken. »Ich verbiete dir, ihn jemals wiederzusehen«, brüllt er.
    Sie bleibt sitzen und sagt nichts.
    Schönberg versucht, ihr Schweigen zu überhören.
    Nach ein, zwei Minuten wirft er die Zeitung auf den Tisch. »Und?« schreit er. »Du hast nichts dazu zu sagen?«
    Mathilde rührt sich nicht.
    »Ich werde es überprüfen. Das sage ich dir. Ich habe meine Mittel und Wege, das kannst du mir glauben.«
    Mathilde fängt an, das Frühstücksgeschirr abzuräumen. |195| Ins Klappern hinein sagt sie nur: »Verbieten, verbieten. Mein Gott, verbieten.«
    Er sieht nicht, daß sie dabei lächelt.

    Jeder, der hier sitzt, ist hereingeflohen. Ist erst einmal aufatmend stehengeblieben, hat sich mit dem Hemdsärmel oder dem Taschentuch das Gesicht abgetrocknet und ins Dunkel geblinzelt. Hier ist es noch auszuhalten. Schon wegen der verhängten Fenster, aber auch wegen der Höhe und Tiefe des Raums mit seinen Kreuzgewölben und den dicken Marmorsäulen. Sogar die Stammgäste des Café Central, die üblicherweise im glasüberdachten Arkadenhof sitzen, diesem tiefen Schacht mit seinem zu groß geratenen Brunnen, haben sich heute nach innen verzogen. Denn da ist weniger zu spüren von der Hitze, die draußen jede Bewegung mühsam macht. Nur durch die Tür zur Herrengasse dringt mit jedem neuen Gast etwas von dem sengenden Juninachmittag herein, so sengend, wie keiner einen Junitag erinnert.
    »Es wäre hier durchaus erträglich«, sagt Loos, trocknet sich ein zweites Mal mit seinem großem Batisttuch ab, das kräftig nach seinem Parfum von Knize duftet, »wenn man diese Deckenpinselei weiß zustreichen, die ganze verlogene Renaissance-Dekoration herunterschlagen und dieses Rathausmobiliar hinausschmeißen würde.« Er setzt sich zu Altenberg, Friedell und Webern an den Tisch.
    »Du sitzt hier in keiner Architekturjury, lieber Loos, sondern in einem Krisenstab – wenn ich das richtig |196| verstehe, Herr Webern.« Altenberg spricht mit schwerer Zunge, als verfiele er sogleich in Tiefschlaf.
    Webern ist gekleidet wie für ein Vorstellungsgespräch und schaut auch so. »Ich habe Sie hierhergebeten, um über unsren gemeinsamen Freund Schönberg zu reden. Wie Sie wissen …«
    Loos seufzt auf. »Mein Gott, ich bin wirklich sein Freund. Aber dem Mann ist nicht zu helfen. Der macht mich fertig.«
    »Zu lange seine Musik gehört?« sagt ein neuer Kellner, der sich neben ihn stellt.
    »Was sagen Sie?« Loos neigt den Kopf zur Seite, so daß sein Ohr sich dem Kellner zuwendet. »Ich bin schwerhörig.«
    »Ah so, deshalb«, sagt der Kellner.
    »Vier Schwarze«, sagt Loos, schließt die Lider, kneift mit Daumen und Zeigefinger die Nüstern seiner kleinen Nase zusammen und näselt: »Ich fasse es nicht, ich fasse es wirklich nicht.«
    »Ich auch nicht«, sagt Altenberg. »Du weißt seit Jahren, daß ich um diese Uhrzeit – für mich ist es jetzt sechs Uhr morgens – keinen Schwarzen, sondern nur eine Melange mit viel Milch vertrage, alles andere verübelt mir mein Magen.«
    Webern hat einen Block vor sich auf den Tisch gelegt und scheint nichts von dem Gerede der anderen wahrzunehmen. Er pocht mit der Rückseite seines Bleistifts auf die Marmortischplatte. »Also: Sammeln wir einmal Erklärungen für Schönbergs absolut unverständliches Verhalten. Warum hat er diesen üblen Menschen …«
    »Na ja, so übel ist er nicht«, sagt Altenberg. »Der ist wie unser guter Schönberg: erfrischend ungemütlich in dem ganzen Schwulst und feierlichen Getue hier.«
    |197| Webern rümpft die Brauen und klopft wieder mit dem Bleistift auf den Marmor. »Also, warum hat er dieses Subjekt wieder in seine Sommerfrische an den Traunsee eingeladen? Wo er doch längst alles weiß. Warum tut er das? Warum!«
    Friedell lehnt sich zurück. Der Stuhl ächzt. »Na ja, man kann diesen Gerstl ja als das

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