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Wahr

Wahr

Titel: Wahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riikka Pulkkinen
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Linda.
    »Ja«, erwidere ich.
    Lindas Unterlippe zittert. Als sie losweint, entdecke ich einen bisher unbekannten Zug um ihre Nase. Ein letztes Mal schließe ich sie in die Arme. Sie bringt kein Wort heraus, schluchzt nur vor sich hin.
    »Wir bauen eine Höhle«, sagt sie schließlich.
    »Das machen wir.«
    »Mama und Papa könnten doch auch mitkommen?«, schlägt sie vor.
    »Warum nicht.«
    »Dann schlafen wir alle zusammen in der Höhle.« Sie sieht mich an und denkt über ihre Idee nach.
    »Nein. Mama und Papa gehen nach Hause, und ich bleibe allein bei dir. In der Höhle schlafen nur wir beide.«
    »So machen wir es.«
    »Und du schläfst die ganze Nacht neben mir?«
    »Ja. Ich bewege mich die ganze Nacht nicht von deiner Seite.«
    Mit dieser Antwort ist sie zufrieden. Wir haben einen Plan. Sie schnieft. Ich darf meine Tränen noch nicht laufen lassen.
    »Ich gehe jetzt nach oben.«
    »Ja.«
    Sie läuft zur Tür. Ich schaue ihr nach. Gerade so kommt sie an den Türgriff. Ehe sie hineingeht, dreht sie sich noch einmal um.
    »Tschüs, bis morgen!«, ruft sie. Sie weint nicht mehr, sie lächelt.
    Dann ist sie weg. Ich sitze noch eine Minute da, ehe ich aufstehe und durch den Garten gehe.
    Am Tor fange ich an zu rennen, vor mir verschwimmt die Straße.

23.
    ELSA STARB SCHNELL . Ihr Tod überraschte Martti, obwohl er ihn letztlich erwartet hatte. Noch am Vormittag war sie gut bei Kräften gewesen. Zum Mittag hatte Elsa neue Kartoffeln gegessen und sich darüber ge­wundert, wie viele Kartoffeln sie vertilgen konnte. Nach dem Essen wollte sie tanzen, also hatte Martti eine alte Schallplatte aufgelegt.
    Ihr Tanz war ein Wiegen. Elsa lehnte sich an ihn und er sich an sie. Er dachte daran, wie sie sich an ihrem ersten Abend angefühlt hatte. Zu Anfang hatte Lauri mit ihr getanzt, er selbst hatte von weitem die hübsche Vertiefung zwischen ihren Schulterblättern bewundert. Er hatte sich an ihrem Hals und den zwei feuchten Locken erfreut, die an ihrer Stirn klebten. Elsa hatte sich robust angefühlt, muskulös, sie wirkte wie ein Mädchen vom Lande, das Milchkannen schleppte und Kühe auf die Wiese trieb. Er war überrascht zu hören, dass sie aus Helsinkis vornehmem Stadtteil Eira stammte und ihre Eltern Akademiker waren. Ein breites Gesicht. Gewitzte, buschige Augenbrauen. Dunkle wellige Haare. Volle Lippen und zwischen den Schneidezähnen eine kleine Lücke. Ein warmes Lächeln, fest und sicher, das seinem Gegenüber vermittelt: kein Grund zur Angst. Nicht einmal vor dem, was unausweichlich kommt, wenn das Leben nur lange genug dauert.
    Bei diesem Lächeln wollte er bleiben.
    Elsa schmiegte sich noch enger an ihn. Die Platte war zu Ende, draußen brummte ein Rasenmäher.
    »Der Sommer«, hatte Elsa geflüstert.
    Ihr Tanz wurde zu einer Umarmung.
    »Ich werde nicht mehr durchhalten, bis die Erdbeeren reif sind.«
    »Das können wir nicht wissen.«
    Der Rasenmäher brummte, der Wind wehte durch die Fenster, der Boden knarrte unter ihren Füßen. Da klingelte das Telefon. Er ging ran. Elsa setzte sich aufs Sofa und hörte zu. Es war Rautalampi. Ohne um die Tragweite seines Anrufs zu wissen, berichtete er von Eleonooras Besuch. »Sie ist ganz plötzlich aufgebrochen. Deshalb rufe ich jetzt direkt beim Meister an: Was soll mit diesem Bild unter dem Bild passieren?«
    Sekunden vergingen, bis er verstand, wovon Rauta­lampi sprach. Dann erinnerte er sich. Er würde darüber nachdenken und sich melden, sagte er, dabei klang er ­ruhig und gelassen.
    Er legte auf und sah zu Elsa. Als er ihr erzählte, worum es ging, sah sie aus, als habe sie es längst geahnt.
    Sie sagte: »Ich muss Eleonoora anrufen. Sofort.«
    Sie versuchte es sechs Mal. Sie probierte es vom Festnetztelefon aus, mit ihrem Handy, schließlich mit seinem Handy. Eleonoora ging nicht ran. Elsa stand mitten im Zimmer, machte ein paar wirre Schritte, als wüsste sie nicht, in welcher Wand sich die Tür befand. Dann setzte sie sich.
    »Ist dir nicht gut?«
    »Nicht so richtig.«
    »Hast du Schmerzen?«
    Elsa legte sich aufs Sofa, schloss die Augen. Sie atmete schwer, als hätte sie sich überanstrengt. »Ich bekomme schlecht Luft. Aber nicht schlimm«, sagte sie.
    Im Krankenwagen, ehe sie die Sauerstoffmaske aufgesetzt bekam, nahm sie seine Hand und sagte: »Ich weiß nicht, ob ich wirklich um Verzeihung bitten muss, aber ich würde die Sache gern klären.«
    Er drückte ihre Hand. Zu sagen wusste er nichts, also nickte er.
    Sie fügte hinzu: »Wenn ich nicht mehr

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