Wahr
etwas tun – und warum sollten sie nicht, es ist ihr Abschiedsabend –, dann tun sie es sehr leise.
»Also gut«, sagt Elsa.
Sie trinkt ihren Kaffee im Stehen und schaut kurz zu mir herüber, als würde sie fragen: Bist du bereit? Es ist sieben Uhr, ein heller Morgen.
Ella und ich laufen unsicher in der Küche umher, wie zwei Würfel ohne Spiel. Sie wird immer wilder, spürt, dass etwas Neues beginnt, rennt ins Wohnzimmer und zurück, fliegt aus meinem Schoß in Elsas und von dort in die Arme ihres Vaters.
Er ist schweigsam, meidet meinen Blick. Später erfahre ich, dass er sich das schon als Junge angewöhnt hat und es nicht mehr abschütteln kann. Wenn seine Mutter Freundinnen einlud und deren Brüste sich über der Tischplatte hoben und senkten, blickte er schnell zum Fenster. Die alte Gewohnheit greift, sobald mehr als eine Frau im Raum ist.
Es ist ein Ersatzblick, wie durch einen Türspalt, der sich ihm auftut: Licht flutet durchs Fenster, überzieht alles mit einem Gleißen, die Frauen setzen ihr Gespräch fort, und die Sonne tanzt in ihren Haaren und auf den Perlmuttknöpfen der Blusen. Die Hügel unter diesen Blusen scheinen paradiesisch, die Lippen in den Gesichtern bergen stille Versprechen.
Er beschließt, am Abend seinen Freund Lauri zu besuchen. Vielleicht wird er sogar weitere Freunde anrufen und einen Abend im Restaurant vorschlagen. Jedenfalls hat er nicht vor, in seinen Räumen stille Stunden mit mir zu verbringen. Er wird Ella einen Gutenachtkuss geben und die Wohnungstür schließen. Dafür werde ich bezahlt: Dass ich in dem kleinen Zimmer übernachte und er kommen und gehen kann, wie er möchte.
Als wir alle im Flur stehen, bricht Ella in Tränen aus. Sie weiß, dass ihre Mutter gleich gehen wird, rennt ins Wohnzimmer und versteckt sich unter dem Couchtisch.
»Meine Kleine«, sagt Elsa, steht schon an der Tür. In hohen Schuhen und Blazer geht sie zurück ins Wohnzimmer, nimmt ihre Tochter noch einmal in die Arme, schaukelt sie sacht und flüstert ihr etwas ins Ohr, das für niemanden sonst bestimmt ist.
Ich bezweifle, dass ich je solchen Trost werde spenden können. Meine Unsicherheit lässt mich klein werden wie eine Kinderfaust.
Schließlich ist das Mädchen bereit für den Abschied. Ergeben trippelt es mit seiner Molla-Puppe, die fast so groß ist wie Ella selbst, bis zur Tür. Draußen vor dem Auto drückt Elsa ihre Tochter ein letztes Mal an sich, das Gepäck ist bereits im Kofferraum. Elsa ist unschlüssig, wie sie sich von mir verabschieden soll, die Hand reichen oder umarmen? Nach einem kurzen Zögern legt sie ihre Arme um mich.
»Und jetzt übernimmst du sie«, sagt sie.
Ich hebe Ella hoch, sie schmiegt ihren Kopf an meine Schulter, hält die Puppe umklammert, schaut nicht mehr zu ihrer Mutter. Der Mann sieht kurz zu mir, ich nicke. Sie können starten. Elsa lächelt noch einmal, dann steigt sie ein. Als das Auto weg ist, will Ella wieder runter. Ich setze sie ab, bemühe mich um liebevolle Bewegungen. Ab jetzt muss allein ich genügen.
»So«, sage ich, das Wort hallt auf der Straße, lässt mich wieder an die dümmliche Nachahmung denken.
»Was möchtest du machen?«, frage ich. »Wir können machen, was immer du willst!«
»Wir gehen in den Park«, bestimmt sie.
Das hört sich nicht schwierig an. Im Park können wir uns den Springbrunnen ansehen. Und wir können weiter bis ans Meerufer gehen, ich kann ihr die Schiffe zeigen. Wir können ein Eis kaufen, mit der Straßenbahn fahren. Wir können uns Namen für alle Bäume ausdenken, die wir sehen, können mit einem Stock in der Erde bohren, einen Regenwurm finden, auch ihm einen Namen geben, zum Beispiel Pekka, und wir können Pekka Glück wünschen, so viel, wie ein Regenwurm eben braucht.
»Molla kommt auch mit«, verkündet sie.
»Schön. Molla kommt auch mit«, wiederhole ich.
Erst jetzt sehe ich sie bewusst an. Schon lange habe ich kein kleines Kind mehr von so Nahem gesehen. Rein ist das Wort, das mir als Erstes in den Sinn kommt, aber nicht als Gegenteil von schmutzig, sondern neu, unbeschadet. Ihre Wimpern sind erstaunlich lang, die Augenlider sind prall und leicht dick, die Nase sieht weich aus, erhebt sich aus dem Gesicht wie eine reife Beere. Sie hat schon etliche eigene Gesichtsausdrücke, nur die Trauer hat sich in diesem Gesicht noch keine Form gesucht, das sehe ich genau. Eine eigenartige Beobachtung: Die Abwesenheit von etwas festzustellen, das ganz gewiss noch kommen wird.
Ich werde diejenige
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