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Wahr

Wahr

Titel: Wahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riikka Pulkkinen
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sein, die die Trauer in das Gesicht dieses Kindes zeichnet. Noch weiß ich das nicht, und genauso wenig weiß ich, dass sie damit fertig werden wird. Sogar viel besser als ich. Sie ist diejenige, die die Trauer für immer in mein Gesicht zeichnen wird. Sie ist diejenige, deren Verschwinden mich so kraftlos zurücklassen wird, dass ich tagelang regungslos auf dem Fußboden liegen werde, unfähig aufzustehen.
    Kaum biegen wir in eine belebte Straße, durchflutet mich eine ganze Serie bedrohlicher Bilder: Vielleicht hat das Mädchen solche Angst vor der Straßenbahn, dass es anfängt zu brüllen. Vielleicht geraten wir unter ein Müllauto oder unter den Kehrwagen. Vielleicht verliere ich Ella und muss endlos, mit heiser werdender Stimme nach ihr rufen.
    Auf einmal ist sie stumm. Ich bin unfähig, sie anzuschauen, mit ihr zu sprechen. Woher kommt plötzlich dieses Gefühl, dass sie in mich hineinsehen kann? Das kann sie nicht. Sie ist zweieinhalb, alles was sie sieht, ist eine erwachsene, noch fremde Frau, deren Unsicherheit von Sekunde zu Sekunde wächst. Ich möchte dieses Kind vor allen lauernden Verlusten bewahren und ertappe mich bei dem Gedanken, dass wir die Kreuzung, an der wir jetzt stehen, nie mehr verlassen können, dass wir uns höchstens in einem Treppenhaus oder einem Keller verstecken können, dort für den Rest unseres Lebens kauern müssen, oder zumindest so lange, bis sein Vater zurückkommt, damit ich das Kind keiner Gefahr aussetze, die Unbeschadetheit seines Gesichts nicht zerstöre.
    Ella stoppt meinen Anflug von Panik, indem sie ihre Hand in meine schiebt. Ihre Hand ist verblüffend weich, das Gewebe fühlt sich jung und elastisch an. Der Griff ist zart. Ich hatte dieses Vertrauen ganz vergessen, das allen Kindern eigen ist, da sie noch nichts anderes kennen als den festen Glauben an das Gute. Irgendwann im Leben verliert man ihn für eine Weile, das ist unausweichlich. Wenn man Glück hat, kehrt er zurück. Es kommen Menschen, die einen unter der Bettdecke umarmen, die einem unter einer Tischplatte ihre Hand reichen, mit denen man wieder lernt, was man notgedrungen verloren hat, als die Kindheit endete. Aber noch hat das Mädchen nichts verloren. Es vermittelt mir mit seinem ganzen Wesen, dass ich es beschützen darf. Ella hat keine Angst vor lauten Straßenbahnen, vor Autos, Möwen und Menschen, vor großen Bäumen, die umfallen können, oder vor dem Tod. Sie glaubt fest daran, dass ich sie beschützen kann.
    Und während die Sekunden vergehen und der Verkehr an uns vorbeirauscht und das Mädchen noch immer nicht seine Hand aus meiner löst, beginne auch ich, daran zu glauben. Ganz einfach. Sein Vertrauen weckt meines. Sanft drücke ich ihre Hand und habe nicht vor, meinen Griff zu lockern.
    »Mama sagt, ich muss gut auf die Autos aufpassen, wenn ich über die Straße will.«
    »Da hat deine Mutter vollkommen recht.«
    Ich sehe ihren zierlichen Nacken, hell, fast weiß, den bloßen Streifen zwischen ihrer Jacke und dem Haarflaum. Am liebsten würde ich meine Hand dorthin legen, auf diese Haut, die mit ihrem matten Schimmer sagt, dass schon nichts Böses geschehen wird, solange man so rein und vertrauensvoll ist.
    »Kaufst du mir ein Eis?«, fragt sie mich.
    »Warum nicht?«, antworte ich.
    Meine Angst ist verschwunden.

8.
    » FAHREN WIR NACH Seurasaari?«
    Sie kamen gerade von ihrer abendlichen Autotour zurück, da schlug Elsa noch einen Abstecher auf die Bade­insel vor.
    »Ach, Martti. Ich möchte noch nicht ins Haus, nicht an diesem schönen Abend«, beschwor Elsa. »Vielleicht gehe ich sogar kurz ins Wasser.«
    »Bist du verrückt? Das lasse ich nicht zu.«
    »Wieso nicht?«
    »Das Wasser ist noch zu kalt, da holst du dir den Tod!«
    Elsa hob die Augenbrauen und sah ihn bedeutungsvoll an. Er begriff, was er gesagt hatte, und fast zeitgleich brachen sie in Lachen aus.
    »Na gut, wir fahren hin«, willigte er ein.
    »Wir holen noch eine Thermoskanne von drinnen, mit Tee, und eine Decke«, ordnete Elsa an.
    Während der Tee zog, legte Elsa mit einem schelmischen Lächeln zwei große Badetücher in den Korb.
    Es ging schon auf elf Uhr zu, nur noch ein paar vereinzelte Jogger waren am Strand. Das Meer hatte seine Farben vom Himmel geliehen. Weiter hinten erhoben sich die Elektrizitätswerke, flammten orange im letzten Sonnenlicht auf. Der Tag war warm gewesen, obwohl es nachmittags geregnet hatte. Jetzt, wo die Sonne sich der Nacht ergab, schien alles in einem rosa Dunst zu schweben.
    In der

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