Wahr
als Eero an sein Handy ging, kippte ihr Ton – sie wusste nicht warum – in eine leicht gereizte Routine: »Wo bist du?«
»Bei der Arbeit«, sagte er. »Ich fahre aber gleich nach Hause.«
Eleonoora konnte es nicht aussprechen. Immer kam ihr diese Maske dazwischen, von der sie hoffte, Eero würde sie ihr liebevoll und geduldig abnehmen, immer wieder aufs Neue.
»Anna und ich werden in Tammilehto übernachten. Du musst für dich und Maria was zu essen besorgen.«
»Alles klar.«
»Und bitte benutzt den Grill noch nicht. Maria wollte ihn zwar reinigen, aber ich will dabei sein, wenn ihr ihn einweiht.«
»Okay.«
Stille in der Verbindung, die sich wie ein unsichtbares Band zwischen ihnen ausdehnte.
»Alles in Ordnung?«, fragte Eero.
Sie antwortete nicht sofort. Morgen Abend, wenn sie zurückkam, würden sie die Schlafzimmertür schließen. Sie würde sich an ihren Mann lehnen und endlich weinen. Sie würde aussprechen, was sie jetzt für sich behielt: Lass uns die Tür abschließen, uns von den Wänden beschützen lassen und einen Moment lang so tun, als gäbe es keinen Tod.
»Alles in Ordnung«, sagte sie.
Ihre Mutter bat um ein Glas Wasser. Eleonoora hatte ihren Vater aus dem Zimmer geschickt, sie wollte ihre Mutter untersuchen, ohne dass er es mitbekam. Er mochte es nicht, wenn sie privat die Ärztin spielte. Doch was hätte sie sonst tun sollen? Für sie war es leichter, einen Bauch aufzuschneiden, als den dumpfen Schmerz der Sorge zu ertragen.
Die Pflegerinnen waren ein zweites Mal da gewesen, der Zustand ihrer Patientin hatte es verlangt. Während des Besuchs hatte sich ihre Mutter beherrscht und höflich gezeigt, aber als sie wieder alleine waren, ließ sie ihrer Gereiztheit freien Lauf. Eleonoora brachte das Wasser, von dem ihrer Mutter erneut übel wurde. Sie musste das Glas sofort außer Sichtweite bringen. Dann bat ihre Mutter sie, die Vorhänge zu öffnen. Das genügte nicht, sie musste die Vorhänge abnehmen, damit der Himmel nicht verdeckt wurde. Als Eleonoora damit fertig war, sich Nacken, Schultern und Arme halb verrenkt hatte, zog ihre Mutter, nun allzu sehr von der Sonne beleuchtet, ein leidendes Gesicht. »Bitte häng sie wieder auf.«
»Was ist nur los mit dir, du benimmst dich wie ein kleines Kind!«, brach es aus Eleonoora hervor.
»Raus!«, brüllte ihre Mutter plötzlich, »lass mich alleine!«
Sie hatte sich gerade erneut an den Vorhängen zu schaffen gemacht, erstarrte in der Bewegung. Perplex sah sie ihre Mutter an. »Wieso lässt du das nicht mal an Papa aus, oder an irgendjemand anderem? Ist dir gar nicht klar, wie schwer das alles ist?« Ihre Frage klang wie eine Anklage.
Der Blick ihrer Mutter war wütend und entschlossen. »Um dein Befinden geht es hier also, ja? Darf ich dich daran erinnern, dass ich diejenige bin, die sterben muss?!«
»Aber du lässt dir von niemandem helfen, machst es einem sogar noch absichtlich schwer!«
»Und wie glaubst du, mir helfen zu können?«
Eleonoora schwieg.
Ihre Mutter machte eine Pause, bevor sie ihren wichtigsten Satz sagte. »Jeder stirbt allein.« Zum ersten Mal zeigte sich die Verzweiflung in dem gealterten Gesicht.
Eleonooras Antwort war hart und gehässig, vielleicht weil sie den Satz schnell in einen anderen Kontext stellen wollte: »Oh ja, du wirst garantiert allein sterben, wenn du so weitermachst. Sag Bescheid, wenn du entschieden hast, ob du Hilfe annimmst oder nicht.« Sie schloss die Tür lauter, als sie beabsichtigt hatte. Noch im Flur schossen ihr die Tränen in die Augen.
In diesen Räumen hatte sie schon als Fünfjährige geweint, als Teenager ihre Mutter beschimpft und die Türen geknallt, vielleicht auch diese. War voller Hass in den Flur gerannt. Das alles scheint nur wenige Augenblicke zurückzuliegen. Sie hatte ihre Eltern mit solcher Inbrunst gehasst, dass sie sich über den Ursprung dieses starken Gefühls selbst wunderte.
Eleonoora ging in die Küche, öffnete die Geschirrspülmaschine, ließ Wasser ins Spülbecken laufen. Es war eine alte Gewohnheit; sie spülte ab, wenn sie weinen musste und sich ungerecht behandelt fühlte. Das Fließen des Wassers und die beinahe choreographischen Bewegungen ihrer Hände taten ihr gut, manchmal fühlte sie sich fast wie eine Märtyrerin. Neben dem Spülbecken standen zwei Weingläser, in einem war noch etwas Rotwein. Sie öffnete den Unterschrank. Eine leere Syrah-Flasche. Ohne nachzudenken stürmte sie mit der Flasche ins Schlafzimmer.
»Was soll das,
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