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Wahr

Wahr

Titel: Wahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riikka Pulkkinen
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Befinden?«, fragte Maria sofort.
    »Wie soll es schon sein, ich liege hier und sammele Kräfte.«
    »Brauchst du noch eine Schmerztablette?«, fragte Maria, als wäre sie Assistentin im Krankenhaus.
    »Ach, Tabletten brauche ich nicht«, sagte Elsa hochmütig. »Jetzt brauche ich Lieder! Der Blutwert war über sechzig, der CRP-Wert sogar auf über hundert gestiegen, da kann man schon mal ein Liedchen anstimmen, oder sogar einen Kanon.«
    Auch Anna wagte sich ans Krankenbett, sie setzte sich ans Fußende und kniff Eleonoora liebevoll in den großen Zeh.
    »Wir haben doch unseren Trostreim«, schlug Anna vor, »den kann man doch auch singen. Wie ging die Melodie noch mal?«
    »Der Trostreim!«, rief Maria erfreut.
    Eleonoora stimmte die erste Zeile an.
    »Das reicht«, sagte ihre Mutter abrupt.
    »Was denn? Sollen wir jetzt doch nicht singen?«, fragte Eleonoora.
    »Ach, der Trostreim, den haben wir doch alle viel zu oft gehört.«
    »Viel zu oft? Was willst du damit sagen?«, wunderte sich Maria.
    Eleonoora sah Maria an, dann Anna.
    Anna hatte noch immer die Hand auf dem Fuß ihrer Mutter, sah erst zu dieser, dann zu ihrer Großmutter.
    Eleonoora blickte verwundert in die Runde. »Was ist hier eigentlich los?«
    Elsa zuckte mit den Schultern. »Gar nichts ist los. Was ist jetzt mit dem Kanon?«
    Anna schnaubte irritiert. Eleonoora sah, wie verunsichert sie war.
    Weinen musste sie erst, als sie mit ihren Töchtern am Auto stand. Aus irgendeinem Grund ging die Alarmanlage los, Eleonoora drückte hektisch auf dem Zündschlüssel herum, aber das Piepen wurde nur noch lauter, gellte fordernd in den Ohren. Maria sagte durch den Lärm hindurch irgendetwas, und da flossen die ­Tränen. Ihre Tochter ging um das Auto herum und umarmte sie. Solch ein Mädchen hatte sie großgezogen! Eins, das keine Fragen stellte. Als wäre es die normalste Sache der Welt, dass eine Mutter zusammenbrach, eine Mutter, deren Aufgabe es war, einzukaufen, abzuwaschen, zu putzen, Medikamente zu verabreichen und die Alarmanlage des Autos im Griff zu haben, dazu noch die ­Befehle und Attacken der eigenen Mutter zu ertragen, die nur dürftig verschleierte, was doch feststand: Die Reise führte langsam, aber unausweichlich Richtung Ende.
    Die Lichter blinkten, die Sirene heulte.
    Maria sprach ihr beruhigend ins Ohr. »Lass nur, gleich hört das auf.« Als hätten sie Marias Arme schon immer umschlossen.
    Eleonoora warf einen Blick zu Anna, sah in ihren Augen dieselbe Hilflosigkeit, die sie als Mutter im Angesicht von Annas Schmerzen empfand. Am Tag mit den Pfefferkuchen, am Tag, als Anna im Flur gelegen hatte. Sie sah Annas Unsicherheit, ehe sie die Augen schloss und die Welt für eine Weile sich selbst überließ.

11.
    ANNA SETZT SICH ganz nach oben neben ihre Mutter. Ihre Mutter macht einen Aufguss. Solange man vom Wasserdampf umgeben ist, kann einem nichts passieren. Die Wände des alten Gebäudes ächzen.
    »Schön warm geworden, auch wenn der Boden nicht mehr ganz dicht ist«, sagt ihre Mutter.
    Sie sind mit dem Auto nach Westen gefahren, haben im Dorfladen Hallo gesagt und aus Höflichkeit einen viel zu großen Fisch gekauft. Die Türen knarrten wie immer; die Mäuse – sofern welche da waren – flohen. Die Bilder ihres Großvaters begrüßten sie, bargen die Wintermonate in sich, in denen niemand sie ansah und die Zimmer leer standen.
    Hierher hat er seine wagemutigsten Werke gebracht, auf denen die Visionen des Entstehungsmoments roh hervorstechen, wie Astlöcher aus einem ungeschliffenen Brett. Impasto-Versuche, Kombinationen von Techniken, die dann doch nicht harmonierten. Unter dem alten Gästebett im Keller liegen mehrere Leinwände übereinander, alle zwanghaft mit Klecksen versehen. Ihr Großvater hatte Dripping- und Spritz-Methoden ausprobiert. Als hätte er Wein auf die weißen Flächen gegossen, massenweise Farben ausgekippt. Dann hatte er mit einem Spatel oder einem Messer Formen herausgearbeitet, Kerben, Rundungen, Umrisslinien von Figuren. Im Schup ­pen stehen noch mehr dieser Arbeiten, nicht alle sind von ihrem Großvater. Früher hat ein Künstlerkollege aus Lappland wochenlang hier gearbeitet und im Schaffens- und Alkoholwahn sogar die Schuppenwand bemalt. Seit Jahrzehnten schwimmt dort nun ein Rentier durch eine grüne Landschaft, eine riesige Sonne scheint die Dachbretter zu versengen.
    »Ich werde mal den Sommer begrüßen und mich ins Wasser wagen«, verkündet Anna. Es muss noch eiskalt sein.
    »Du bist verrückt«,

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