Wahrheit (Krimipreis 2012)
Cashin waren die Wellen lahm, er hatte von Kindesbeinen an gesurft, alberte herum, ging auf seinem Brett hin und her, drehte der Küste den Rücken zu. Doch er fand sich damit ab, bis Villani für die echte Brandung bereit war, bereit, in die Brecher von Bells geworfen zu werden.
In Surfers Paradise ließ Villani sich mit der Dünung treiben, zurück zum Ufer, versuchte durchzuatmen, als er die erste einer ganzen Reihe von Wellen sah. Er ließ sich emportragen von der ersten, der größeren zweiten Welle, machte kehrt und schwamm auf die dritte zu. Den Kopf gesenkt und mit wirbelnden Armen erwischte er sie, zog die Schultern hoch. Er spürte, wie ihre Kraft ihn packte, ihn erfüllte, er wurde nicht von der Welle nach vorn geschleudert, er war die Welle, er war die Kraft, angelegte Arme, gewölbter Körper, er war die herrliche federnde Stärke.
Dann gehorchte die Welle einem geheimen Befehl, ließ ihn im Stich. Sie stürzte in sich zusammen, schleuderte ihn nach unten, seine Stirn traf auf Sand, er dachte, er hätte sich das Genick gebrochen, die Kraft rollte ihn umher, ließ ihn taumeln, zog ihm die Badehose aus, er schluckte Wasser, Wasser stieg ihm in die Nase, er wusste nicht, wo oben war, er ertrank.
Sein Kopf durchbrach die Wasseroberfläche, und es war vorbei, nichts Besonderes, er trieb im Schaum, Bodysurfer nahmen dergleichen als selbstverständlich hin – sie schnaubten ein halbes Glas salzigen Rotz aus und schwammen zur nächsten Runde wieder raus. Doch er hatte genug.
Er ging aus dem Wasser, schaute an sich hinab und sah das Blut von seinem Kinn auf den Brustkorb, auf den Sand in seinen glänzenden schwarzen Bauchhaaren tropfen. Als er sein Hemd anzog, sah er die blutenden Schürfwunden an Unterarmen und Ellbogen.
Laurie war auf, als er zurückkam.
»Meine Güte, was ist denn mit dir los?«
»Nichts. Eine Welle hat mich geschmissen.«
»Da muss man was draufmachen.«
Sie klang unbekümmert, sie kannte Blut, sie leitete eine große Cateringküche, da schnitten sich andauernd Leute, bluteten in den Gelbflossenthunfisch, das Wagyu-Kobe-Rindfleisch, das Schwimmkrabbenfleisch, die kross gebratene Ente, fügten Blut aller Gruppen zu dem Fingerfood hinzu, von dem eine erlesene, münzgroße Portion fünf Dollar kostete.
In der Dusche inspizierte er seine Knie, Unterarme, Ellbogen. Im Medizinschränkchen fand er antiseptische Creme, trug sie auf, zuckte zusammen.
Sie frühstückten in einem Café – kaltes Rührei, kalten Schinkenspeck, kalten Toast, lauwarmen scheußlichen Kaffee. Sie lasen Zeitung, sprachen apathisch über die Kinder, er machte über irgendetwas eine Bemerkung, sie war an seinen Ansichten nicht interessiert. Das war einmal anders gewesen. Er überlegte, wann das gewesen war. Sie kauften Lebensmittel in einem Supermarkt, in einem Feinkostgeschäft. Laurie schlug vor, zum Strand zu gehen. Er sagte Nein. Eine Blamage am Tag war genug.
Sie zog sich um, ging nach unten, und er setzte sich auf den Balkon und machte sein Handy an – ein Dutzend Nachrichten. Es dauerte über eine halbe Stunde, um alles zu regeln. Er schaltete das Ding aus, nickte ein.
Am frühen Nachmittag kam Laurie zurück, sie hatte keinen Schlüssel mitgenommen und klingelte. Er öffnete die Tür. Sie hatte Shorts und ein T-Shirt an, rosa Haut unter einem Film aus Schweiß und Öl, war wieder neunzehn.
Sie sah ihn an, und seine Hand schob sich in Richtung ihrer Wange.
Sie verzog den Mund voller Abscheu. »Mein Gott, du siehst aus wie nach einer Prügelei«, sagte sie.
Als seine Hand sank, wusste er auf den Millimeter genau, wie weit sie sich voneinander entfernt hatten.
Er machte kehrt. Der Nachmittag verging. Laurie ging zweimal raus, telefonieren. Wenn sie ein Gespräch begannen, klingelte jedes Mal ihr Handy.
»Herrgott noch mal«, sagte er. »Wenn ich das Scheißding abschalten kann, kannst du das auch.«
»Glaubst du vielleicht, das macht mir Spaß?«, sagte sie. »Chris hat Grippe, Bobby ist unterwegs, da weiß niemand, was zu tun ist.«
Am heißen, stillen Nachmittag kam ein Nordostwind auf, der Horizont verschwand, und es regnete in kurzen, heftigen Schüben.
Er ging raus, am Strand entlang, wurde nass. Auf der Hauptstraße fand er einen Wettschuppen – halb besoffene junge Männer in Boardshorts und T-Shirts, Perlenketten und Goldarmbändern, knopfäugige alte Männer, kaputte Haut wie braunes Brot, Mützen und Strümpfe, sie alle saßen in dem flackernden, gekühlten Halbdunkel und lasen die
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