Wahrheit (Krimipreis 2012)
Bildschirme: Murray Bridge, Kembla Grange, Darwin, Alice Springs, Bunbury, Neuseeland. Er kombinierte Favoriten mit Außenseitern, je aussichtsloser, desto besser, warf Geld weg. Ein junger Mann mit verlängerten Haaren versuchte, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Villani war alles andere als entgegenkommend. Er schenkte ihm den langen Verpiss-dich-Blick, und der Mann verzog sich wieder.
Im Apartment, der Abend kam näher, langweilte er sich, war fahrig, trank schon sein viertes Bier, schaltete sein Handy an, durchstöberte die Schränke.
»Scrabble«, sagte er. »Willst du spielen?«
Laurie lag auf der Couch, blätterte in einer Zeitschrift. »Eher nicht«, sagte sie.
»Na, komm. Mir fällt die Decke auf den Kopf.«
Sein Vater hatte ihm das Spiel beigebracht. Für Bob ging
es dabei um Geschwindigkeit, man legte das erste Wort, das einem einfiel, mit taktischen Albernheiten wie dem Versuch, den höchsten Punktwert zu erzielen, gab er sich nicht ab.
An diesem schwülheißen Spätnachmittag in der Hochhausschachtel verlor er nach fünfzehn oder zwanzig Minuten die Geduld. Er begann, an Laurie herumzumäkeln. »Nun entscheide dich endlich, ja, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
Sie sagte nichts, konzentrierte sich auf ihre Buchstaben, bekam hohe Punktzahlen.
Er ließ nicht locker. »Na los, na los, mach schon, ja?«
Ohne Vorwarnung stand sie auf, kippte mit Schwung das Spielbrett, die Buchstaben flogen, trafen ihn, flogen überallhin, und sie sagte ruhig, kontrolliert: »Du dämlicher Tyrann, das ist nur ein Spiel. Hast du dich je gefragt, warum Tony nie mit dir spielen wollte?«
Villani legte das Brett wieder auf den Tisch, richtete es aus. Er sah nach unten, entdeckte die Buchstaben auf dem Teppichboden, die glatt polierten, hellen Holzquadrate auf grünem Nylon. Er schob den Stuhl zurück, kniete sich auf allen vieren hin.
Sein Handy klingelte. Er ging dran, ohne aufzustehen, kniete auf dem Boden.
»Villani.«
»Steve«, Singo, die weiche Stimme. »Hier ist die Kacke am Dampfen.«
»Was gibt’s?«
»Cashin und Diab. Ein Typ hat sie gerammt. Diab ist tot, Joe ist auf der Kippe. Lebenserhaltende Maßnahmen.«
»O Gott, nein.«
Laurie sagte: »Was denn, Steve? Was ist los?«
Villani sagte zu Singo: »Ich nehme das erste Flugzeug, Chef.«
»Rufen Sie diese Nummer an«, sagte Singo. »Dann holt Sie jemand ab.«
Villani klappte das Handy zu, steckte es in seine Hemdtasche.
»Was ist?«, sagte Laurie. »Was ist?«
»Joe«, sagte Villani. »Lebenserhaltende Maßnahmen.«
»Nein«, sagte sie. »Mein Gott, nein.«
Gemeinsam nahmen sie den letzten Direktflug nach Hause und redeten an diesem und an jedem Tag danach nie mehr als ein paar Dutzend Worte miteinander.
… intelligentes Führungspersonal und genug Truppen, Bruce. Gemeinsam können sie Berge versetzen. Und die intelligente Führung ist am wichtigsten. Darf ich hier sagen, dass ich das Morddezernat zu seiner Arbeit bei den Oakleigh-Morden beglückwünsche? Es passiert nicht jeden Tag, dass ein leitender Beamter, der hinter seinem Schreibtisch sitzen könnte, loszieht und sein Leben riskiert. Wir zollen ihm höchste Anerkennung.
Verzeihung, ich bin in dieser Sache leider nicht auf dem Laufenden, wen genau meinen Sie damit…
Inspector Stephen Villani vom Morddezernat. Mehr sage ich dazu nicht.
Ja, nun, ein anderes Thema, Max Hendrys AirLine-Projekt, wo stehen Sie…
Ich mag Max. Nur Max könnte versuchen, mit so etwas durchzukommen, ohne irgendwelche Zahlen auf den Tisch zu legen. Wenn er AirLine zum Fliegen bringen will, heißt sein Hauptproblem Stuart Koenig, der Infrastrukturminister. Koenig hat der Laborfraktion gesagt, ehe Max Hendry die Unterstützung der Regierung bekommt, werden fliegende Schweine den Himmel verdunkeln …
An jenem kalten, nebligen Abend sahen sie zu, wie die Männer im Schnee eine Trage unter das schlafende Mädchen schoben, wie zwei Männer sie ohne die geringste Mühe zu
dem Fahrzeug trugen, sie hätte ein Hund sein können, ein Greyhound.
Zusammengerollt. Sie war zusammengerollt.
V illani nahm eine gelesene The Age aus dem Korb und setzte sich an den Ecktisch. Sekunden später war die Kellnerin bei ihm. Sie war in Corins Alter, eine Studentin, die nebenher arbeitete.
»Zwei Sauerteigtoasts«, sagte er. »Haben Sie noch die italienischen Würstchen? Die mit Fenchel?«
»Aber gewiss doch.«
»Zwei. Und eine gegrillte Tomate. Einen großen doppelten Espresso, schwarz.«
»Sie wissen, was Sie wollen«,
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