Wahrheit (Krimipreis 2012)
sagte er: »Jedenfalls haben Sie sich in der Prosilio-Angelegenheit verantwortungsvoll verhalten. Der Premier ist zufrieden, das kann ich Ihnen verraten.«
Ohne das Pinguinmädchen anzusehen, hielt Orong seine Zahnstocher hoch, ein filigraner Zaun zwischen Daumen und Zeigefinger. Sie nahm sie teilnahmslos, präzise, legte sie auf ihr Servierbrett.
»Französisch«, sagte er, den Blick auf Villani gerichtet. »Nicht das einheimische Gesöff. In einem sauberen Glas. Und bringen Sie diese Steakdinger, die vom Wagyu-Kobe-Rind. «
»Sir«, sagte sie.
»Können Sie mir folgen, Inspector?«, sagte Orong.
Villani wusste, warum er hier war, was für ihn auf dem Spiel stand, wie er sich in Gegenwart dieses schäbigen kleinen Arschlochs verhalten sollte, ein Nichts, keinerlei Begabungen, nur eine Politikerkreatur, die wusste, wie man sich einschleimte, wie man an die wichtigen Nummern kam, wie man denen in den Hintern kroch, die einem nützen, und die fertigmachte, die einem nicht nützen konnten, wie man sich
etwas als Verdienst anrechnen und Verantwortung abwälzen konnte.
»Auf dem Fuß, Herr Minister«, sagte er. »Ein Balanceakt.«
»Balance ist der Schlüssel«, sagte Gillam.
»Auf jeden Fall«, sagte Barry. »Ein Balanceakt.«
»Das stimmt«, sagte Orong und wischte sich die Lippen ab. »Der Chef hat einen Spruch. Man kann nur führen, wenn man auch folgen kann. Man kann nur befehlen, wenn man auch Befehle befolgen kann.«
Villani dachte an die Menschen, von denen er Befehle bekommen hatte. Als Bob Villani Soldat war, hatte er da Befehle von Vollidioten und Arschkriechern wie diesem Mann befolgt? Gab’s die damals dort? War das Militär anders? Gab es einen anderen, einen unterwürfigen Bob Villani?
»Herr Minister, meine Herren, kümmert man sich um Sie?« Ein massiger Mann, dichtes, nach hinten gekämmtes silbriges Haar, zupfte an seinen Doppelmanschetten, ließ kleine Manschettenköpfe mit Rubinen sehen.
Orong strahlte. »Clinton, na klar, sehr schön, toll. Hören Sie, Sie kennen Dave Gillam, Mike Barry …«
»Gewiss doch«, sagte der Mann. »Aber ich glaube nicht, dass ich …«
»Stephen Villani, Leiter des Morddezernats«, sagte Barry. »Ich darf Ihnen Clinton Hulme vorstellen.«
»Steve, wie schön, Sie kennenzulernen«, sagte Hulme, sanfter Händedruck. »Ich fühle mich hier sehr sicher. So viele Polizisten. «
»Clinton ist CEO von Concordat Holdings«, sagte Barry. »Max Hendrys Firma. Unsere Gastgeber.«
»Nur einer von ihnen, bitte«, sagte Hulme. »Dieses Konsortium ist so riesig, dass nur Max alle kennt.«
Ein leiser Trommelwirbel, ein korpulenter Mann auf der kleinen Bühne, an ein Mikrofon angeschlossen, hinter ihm sein Bild auf einer riesigen Leinwand. Villani wusste, dass er
einmal ein Fernsehstar gewesen war, vielleicht ein Showmaster. Die verstärkte Stimme sagte: »Meine Damen und Herren, guten Abend und willkommen. Ich bin Kim Hogarth und vertrete das AirLine-Konsortium.«
Durch die Menschenmenge hindurch sah Villani Fernsehteams, Fotografen.
»Es ist mir ein großes Vergnügen, heute so viele Menschen begrüßen zu dürfen, die unserer großartigen Stadt und unserem großartigen Bundesstaat dienen«, sagte der Mann. »Und an einem so herrlichen Veranstaltungsort, der Hawksmoor Gallery im Persius.«
Beifall vom Band.
»Mein ganz besonderes Willkommen gilt dem Premierminister, seinen Ministern und deren Partnern und Partnerinnen, der Oppositionsführerin und ihren Kollegen und Kolleginnen samt deren Partnern und Partnerinnen«, sagte Hogarth. »Wir danken Ihnen für Ihr Kommen. Das AirLine-Projekt ist nicht geheim. Seit Monaten wird in den Medien darüber spekuliert. Heute Abend wollen wir dem ein Ende bereiten. Wir werden unseren Traum der Öffentlichkeit präsentieren. «
Eine lange Pause.
»Natürlich wissen wir alle, dass Träume nicht oft wahr werden. Wir geben auf, weil es einfach zu schwierig ist, sie zu verwirklichen, weil es zu viel Arbeit erfordert oder zu viel Mut. Und mehr Kühnheit, als wir haben.«
Triumphale Orchestermusik. Auf der Riesenleinwand sah man Bilder von primitiven Maschinen und aufsteigenden Saturnraketen, den Gebrüdern Wright und startenden Düsenflugzeugen, Dreimastern und Supertankern, von staubigen Weiden und schließlich von glitzernden Wolkenkratzern.
Dann sah man die Stadt aus großer Höhe, die Kamera fuhr näher heran, es folgte ein Schnitt auf schneller abgespieltes, aus einem Hubschrauber aufgenommenes Filmmaterial von
verstopften
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