Wahrheit (Krimipreis 2012)
Autobahnen, Brücken und Stadtstraßen, von überfüllten Bahnsteigen und Eisenbahnwagen. Stimmen im Hintergrund verkündeten Zugverspätungen und -ausfälle, warnten vor Straßensperrungen, Umleitungen, defekten Ampelanlagen, zäh fließendem Verkehr, Stillstand.
»AirLine hat einen kühnen Traum, eine kühne Vision«, sagte Hogarth. »Sie stammt von einem großen Bürger Melbournes, einem großen Bewohner des Staates Victoria, einem großen Australier.«
Anschwellende Musik.
Fotos und bewegte Bilder eines Mannes, eines schmalen Jugendlichen zunächst mit kurzen, langen, dann wieder kurzen Haaren, beim Laufen, Fußballspielen, Mauern, neben einem Leichtflugzeug, an einem Reißbrett, mit Schutzhelm auf Baustellen, mit einem Siegerpferd am Zügel in Flemington, nach einem Vom-Pier-zum-Pub-Schwimmen muskelbepackt durch das Flachwasser watend, mit Politikern redend und lachend, Whitlam, Fraser, Hawke, Keating, Howard, Rudd, mit Künstlern, Musikern, Sportlern, in der Umarmung von Nelson Mandela.
Es dauerte zu lange. Es endete still, als der Mann über eine Landstraße ging, zu beiden Seiten brandgeschwärzte Baumskelette und Weiden. Ein älteres Paar empfing ihn vor einem niedergebrannten Haus samt niedergebrannten Nebengebäuden. Er legte die Arme um die beiden, und da standen sie, die Köpfe dicht beieinander, ein Tableau voller Leid und Mitgefühl.
Stille.
Hogarth sagte: »Meine Damen und Herren, ich präsentiere Ihnen den Visionär des AirLine-Konsortiums, seinen Gründer und Vorsitzenden, ich präsentiere Ihnen Mr. Max Hendry.«
Max Hendry betrat das Podium, lockeren Schritts.
»Der Typ auf den Bildern«, sagte er. »Irgendwie hat er was
von Harrison Ford. Erinnert sich noch jemand an Harrison? Aber er ist größer. Und er sieht verdammt viel besser aus.«
Langer, lauter Beifall, die triste Stimmung verflog. Max Hendry streckte die Arme aus, Handflächen nach vorn.
»Gäste, Freunde, es ist schön, euch hier zu haben«, sagte er. »Und Feinde auch. Ihr seid alle willkommen. Mein Vater sagte immer, es ist schwer, einen Mann nicht zu mögen, der einem ein Glas guten Rotwein eingießt.«
Die Menschen lachten, sie mochten ihn.
Er wartete, sah sich in dem Raum um. »Ich möchte Ihnen eine Frage stellen«, sagte er.
»Hand aufs Herz: Kann irgendwer hier, und das schließt Sie, Mr. Premier, und Ihre Minister ein, kann irgendwer hier behaupten, das öffentliche Nahverkehrssystem dieser Stadt sei nicht erbärmlich und unzureichend?«
Gemurmel.
»Keiner?«, sagte Hendry. »Natürlich nicht. Erbärmlich und unzureichend ist noch geschmeichelt. Es ist eine Schande. Deshalb will unser Konsortium dieser Stadt zu einem superschnellen, sicheren und bequemen System verhelfen. Einem tollen System für eine tolle Stadt. Und so sieht es aus.«
Auf der Leinwand sah man einen Hochbahnzug, der oberhalb einer Stadtautobahn dahinschoss, ein anderer fuhr in die Gegenrichtung. Es folgte ein Stadtplan mit fetten Strichen entlang der Hauptverkehrsadern, die sich alle im Herzen der Stadt trafen.
»Das ist nicht noch irgendeine mautpflichtige Straße. Es ist nicht noch irgendein Zug. Dieses Verkehrsmittel bewegt sich in der Luft, im ungenutzten Raum oberhalb des Straßennetzes. Im Luftraum. Wir nennen es das Projekt AirLine.«
Beifall.
»Unser Ziel ist sehr anspruchsvoll«, sagte er. »Wir wollen das fortschrittlichste Transportsystem der Welt bauen. Passives magnetisches Schwebesystem, hängende Kabinen, leichte,
fortschrittliche Metalle, hochmoderne Technik. Doch dabei muss uns die Regierung des Bundesstaats helfen. Alle Bezirke auf allen geplanten Strecken müssen auf den Zug aufspringen. «
Beifall.
»Die Monash-Strecke kann in etwa zwanzig Monaten betriebsfertig sein, von heute an gerechnet«, sagte Hendry. »Stellen Sie sich vor: in fünfzehn Minuten aus den abgelegensten Vororten bis ins Herz der Stadt. Dann folgt der westliche Zubringer. Melton, Caroline Springs, zehn Minuten. Und das ist erst der Anfang.«
Anhaltender Beifall, Max Hendry nickte, Blitzlichtgewitter.
»Noch zweierlei«, sagte Max Hendry. »Ich mag das Konzept eines angstfreien Massentransportmittels. Sehr sogar. Einige der Anwesenden wissen, dass der Neffe meiner Frau vor ein paar Jahren in der Nähe eines Bahnhofs totgeprügelt wurde. Wir haben ihn sehr geliebt.«
Die respektvolle Stille, das Warten.
»Bei solcher Gewalt kommt man ins Grübeln, nicht wahr?«, sagte er. »Sie ist eine Heimsuchung für unsere Stadt.«
Auf der großen Leinwand sah
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