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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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eine Wilmas Tochter und kniet sich dann vor Sophie hin. Sie weicht zurück, eingeschüchtert durch die grelle Farbe seiner Maske und den stechenden Schweißgeruch. Er schüttelt den geschnitzten Kopf, und einen Augenblick später schließen ihre Finger sich um die Puppe.
    Die Geschmeidigkeit dieses Tänzers und sein langer gelenkiger Körper kommen mir vertraut vor. Ich staune über die Behendigkeit seiner Beine und frage mich, ob sich unter der Maske nicht vielleicht Derek verbirgt, der Reifentänzer, den wir in Phoenix kennengelernt haben, Ruthanns Neffe.
    »Ist das nicht -«
    »Nein«, sagt Ruthann. »Nicht heute.«
    Die Katsinam, die eine Pause brauchen, teilen sich in zwei Reihen auf und marschieren vom Platz über die Mesa in einer langen, wogenden Schlange Richtung Kiva. Die Wolken scheinen ihnen zu folgen.
    Ruthann streckt die Arme nach Sophie aus, die ihre neue Puppe fest an sich drückt. Sie legt die Wange an den Kopf meiner Tochter und schaut den Katsinam nach. »Auf Wiedersehen«, sagt sie.
    Als ich am nächsten Morgen aufwache, ist Ruthann fort, und Sophie schläft neben Greta. Ich schleiche mich nach draußen und sehe, wie ein Mann auf das Dach klettert, auf dem der Steinadler angebunden ist und die Zeremonien beobachtet. Der Vogel schlägt mit den Mügeln, doch der Strick um seinen Fuß hindert ihn daran wegzufliegen. Der Mann spricht leise mit dem Vogel, während er sich ihm langsam nähert, dann stülpt er eine Decke über den Adler.
    Als eine Frau aus dem Haus neben mir kommt, frage Ich sie besorgt: »Will er den Vogel stehlen? Müssen wir etwas unternehmen?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Der Adler, Talätawi, hat seit Mai aufgepaßt, ob wir mit den Zeremonien auch alles richtig machen. Jetzt ist für ihn die Zeit gekommen, wieder zu gehen.« Sie erzählt mir, daß ihr Sohn Talätawi gefangen hat. Sein Vater hat ihn an einem Seil an einer Felswand bis zu einem Adlerhorst hinabgelassen. Der Name des Adlers bedeutet »Lied an die aufgehende Sonne« und da sie ihm den Namen gegeben haben, gehört der Vogel zu ihrer Familie.
    Ich warte darauf, daß ihr Mann den Adler losbindet, damit er wegfliegen kann, doch statt dessen wickelt er ihn noch fester in die Decke ein. Er hält ihn eine Weile eng umschlungen, während der Vogel gegen die Umklammerung ankämpft, bis er schließlich erschlafft. »Er tötet ihn?«
    Die Frau wischt sich die Augen. Der Adler, so sagt sie, wird in Maismehl erstickt. Sämtliche Federn, bis auf ein paar wenige, werden ihm ausgerissen, und die werden als pabos, als Gebetsfedern, verwendet oder für rituelle Gegenstände benutzt, mit denen die Menschen von Sipaulovi gesegnet werden. Talátawis Körper wird mit Geschenken der Katsinam beerdigt werden und zu den Geistern reisen und ihnen sagen, daß die Hopi Regen verdient haben. »Sein Tod bewirkt etwas Gutes«, sagt sie mit bebender Stimme, »aber das macht es nicht leicht, ihn loszulassen.«
    Plötzlich kommt Wilma aus dem Haus gestürzt. »Haben Sie sie gesehen?«
    »Wen?«
    »Ruthann. Sie ist verschwunden.«
    Wie ich Ruthann kenne, durchstöbert sie die Müllberge, mit denen das Reservat übersät ist. Gestern, auf unserem Fußmarsch nach Sipaulovi, hat sie mir erzählt, daß die Hopi glauben, wenn etwas kaputt oder verbraucht ist, muß es der Erde zurückgegeben werden. Aus diesem Grund wird Abfall einfach auf dem Boden liegengelassen und Sperrmüll irgendwo aufgehäuft. Nach dem Tod bekommt man das, was kaputt war, dann zurück. Als sie mir das erzählte, habe ich mich gefragt, ob das auch für gebrochene Herzen gilt.
    »Ihr ist bestimmt nichts passiert«, sage ich zu Wilma. »Ich bin sicher, sie taucht bald wieder auf.«
    Aber Wilma ringt die Hände. »Und wenn sie zu weit weggegangen ist und es nicht zurückschafft? Ich weiß nicht, wieviel Kraft sie hat.«
    »Ruthann? Die würde wahrscheinlich mühelos einen Triathlon gewinnen.«
    »Nach der Chemo nicht mehr.«
    »Der was?«
    Von Wilma erfahre ich, daß Ruthann nach der Diagnose zu einem Medizinmann gegangen ist. Doch die Krankheit hatte sich rasend schnell ausgebreitet, und sie hatte sich der Schulmedizin anvertraut. Wilma hatte sie erzählt, ich hätte sie zu den Terminen ins Krankenhaus gefahren. Aber ich hatte keine Ahnung, Ruthann hat mit keinem Wort erwähnt, daß sie Krebs hat.
    Auf dem Dach hinter mir singt der Mann ein Gebet, das schwer ist vor Trauer, und wiegt Talátawis Körper in den Armen wie ein Baby.
    »Wilma«, sage ich. »Rufen Sie die Polizei.«
    Ich will

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