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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Einerseits war ich sein Kind, und er glaubte vielleicht, keine andere Wahl zu haben. Andererseits bin ich jetzt eine Mutter, und er hat meinen schlimmsten Alptraum in die Tat umgesetzt.
    Sophie kuschelt sich an mich, schiebt die Finger in mein Haar. So ist sie immer eingeschlafen, als sie ganz klein war, wie andere Kinder mit einer Schmusedecke oder einem Teddybär. Jedes Mal, wenn sie ein Schläfchen machte, mußte ich mich zu ihr legen. Eric fand, wir sollten ihr das abgewöhnen, sonst würde sie vielleicht nie ohne mich einschlafen können.
    Und ich fragte ihn: Wieso sollte sie das je müssen ?
    Die Bitte-anschnallen- Anzeige leuchtet mit einem Pling auf, und ich helfe Sophie, sich richtig hinzusetzen, ziehe den Gurt um ihre Taille straff. Das Flugzeug legt von der Gangway ab und rollt zur Startposition. Als die Maschine beschleunigt und die Nase schließlich hochgeht, guckt Sophie mich an. »Fliegen wir?« Ich frage mich, ob sie Grübchen hat wie ich. Ob sie ihre Daumen so weit nach hinten biegen kann wie Sophie und ich. Ob ich mein schwarzes Haar von ihr habe, oder meine Angst vor Insekten. Ob sie genauso schlimme Wehen hatte wie ich.
    Ich habe sie mir in meiner Fantasie so lange zurecht-modelliert, eine Mischung aus Marion Cunningham und Carol Brady und Ma Walton und Mrs. Cosby. Sie wird weinen, wenn sie mich sieht, und mich so fest drücken, daß es mir den Atem raubt, und selbst dann noch werde ich merken, wie perfekt mein Körper sich an ihren fügt. Sie wird keine Worte finden, die ausreichen, um mir zu sagen, wie sehr sie mich liebt.
    Doch da ist noch eine andere Stimme in meinem Kopf, eine, die weiß, daß alles anders ist, wenn meine Mutter die ganze Zeit über am Leben war. Wieso hat sie keine größeren Anstrengungen unternommen, mich zu finden?
    Ich habe mir immer eine Mutter gewünscht, die sich mit Händen und Füßen wehren würde, wenn man mich von ihr wegziehen wollte, egal, wie stark die trennende Kraft wäre. Jemanden, der sein Leben opfern würde, wenn ich sonst nicht darin vorkommen könnte.
    Jemanden wie mein Vater.
    Als ich während des Fluges einschlafe, habe ich einen Traum. Er hat gerade ein Zitronenbäumchen im Garten gepflanzt. Ich möchte Limonade machen, aber das Bäumchen trägt noch keine Früchte.
    Er klopft mit den Händen die Erde unten am Bäumchen fest. Er wendet sich mir zu, doch die Sonne scheint mir in die Augen, und ich lächele zurück, obwohl ich sein Gesicht nicht richtig sehen kann. Auf meinem Schoß sitzt eine gestreifte Katze; ich taste nach dem Stummel ihres fehlenden Schwanzes, und sie springt herunter, huscht zwischen zwei Kugelkakteen hindurch, die mich an die Munchkins aus dem Zauberer von Oz erinnern. »Na, was denkst du, Beth?« fragt er.
    Seine Hände sind rot vom Staub, und als er sie an seiner Jeans abwischt, hinterlassen sie Abdrücke, die sich in langhalsige Dinosaurier verwandeln. Ich denke, ich will einen Dinosaurier. Ich will auch einen Seehund, den ich in der Badewanne halten kann.
    Das sage ich ihm, und er lacht. »Ich weiß, was du willst, grilla«, sagt er, und dann zieht er mich mit Schwung in seine Arme, schwingt mich umher, so daß die Sonne meine Fußsohlen küßt.
    Rund um den Flughafen Sky Harbor sieht es so aus, wie ich mir den Mond vorstelle - zerklüftete Berge und blutrote Erde so weit das Auge reicht. Ich trete durch die Doppelglastür nach draußen in eine massive Hitzewand hinein. Ich frage mich, wie es möglich ist, daß so extrem unterschiedliche Staaten wie Arizona und New
    Hampshire Teile ein und desselben Landes sein können.
    Auf meinem Handy ist bereits eine Nachricht von Eric - genauer gesagt, eine Adresse. Der Anwalt, der quasi die Bürgschaft dafür übernimmt, daß Eric in diesem Staat einen Mandanten verteidigt, ist ein alter Kommilitone aus dem Jurastudium, und jemand - die Freundin einer Kusine seiner Sekretärin oder irgendwas Kompliziertes in der Art - überläßt uns ihr Haus und zieht für die Zeit zu ihrem Freund.
    Ich hole die verstörte Greta an der Sperrgepäckausgabe ab, miete mir einen Geländewagen ( Wie lange brauchen Sie ihn? hatte die Frau vom Autoverleih gefragt, und ich hatte sie nur ausdruckslos angeblickt) und verstaue unser Gepäck auf dem Rücksitz und im Kofferraum um den zusammenklappbaren Hundekäfig herum. Währenddessen gehen mir zig Fragen durch den Kopf: Wie komme ich zu dem Haus auf der Los Brazos Street? Wann sehe ich meinen Vater wieder? Sophie rutscht der Rucksack bis zu den Ellbogen

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