Wainwood House - Rachels Geheimnis
hatte. Der Mann hatte genug Anstand besessen, um seine junge Frau schon wenige Jahre nach der Hochzeit zu einer reichen Witwe zu machen. Fortan bestand Mildred Pearce liebster Zeitvertreib darin, die eine Hälfte des Jahres ihre adelige Verwandtschaft heimzusuchen, um in der anderen Hälfte in Barrow von sich reden zu machen.
Da die Zofe auch für den Mops zuständig war, hatte ein nicht unwesentlicher Teil der Bahnfahrt darin bestanden, Hector durch den Zug zu verfolgen. Am Ende der Fahrt hatte er erfolgreich eine Holzbank markiert und alle anderen Reisenden mit seinem spitzen Ge kläffe aus dem Waggon vertrieben. Immerhin führte die gemeinsame Tortur dazu, dass die beiden jungen Frauen miteinander ins Gespräch kamen. Und auch in Mrs Pearce’ Haushalt schlug Jane nicht die gewohnte Kälte aus Wainwood entgegen. Es handelte sich um eine schmucke Vorstadtvilla mit gerade einmal einem halben Dutzend Dienstboten. Obwohl Janes dunklere Hautfarbe auch in Barrow herausstach, schienen die Angestellten sie eher als amüsante Abwechslung zu betrachten, in etwa so wie ein schnatterndes Äffchen, vor dem man zwar das gute Porzellan in Sicherheit bringen musste, dessen Unterhaltungswert aber dennoch willkommen war.
Während die unglückliche Lady Penelope mit ihrer Tante und Hector im Salon zu Abend essen musste, wurde Jane in der Küche begrüßt. Der Chauffeur, der im Sommer zugleich auch der Gärtner war, rauchte an der Hintertür selbst gedrehte Zigaretten. Die Zofe hatte sich Mrs Pearce’ Reisekostüm, an dem eine Naht aufgeplatzt war, zum Nähen mit in die Küche heruntergebracht. Die Köchin briet zum Abendessen für alle Kartoffeln mit Zwiebeln und Eiern. Obwohl auch hier im Haus jeder seinen Stand und seine Aufgaben hatte, waren die verschiedenen Posten nicht so klar voneinander abgegrenzt wie in dem großen Gesinde auf Wainwood.
Beim Essen musste Jane von Ägypten und Wainwood erzählen, wobei Letzteres bei ihren Zuhörern den größeren Anklang fand. Sie wollten alles über den Ball erfahren, die Anzahl der Schlafzimmer und die verschiedenen Speisefolgen beim Dinner. Mrs Pearce duldete keine Elektrizität im Haus, und so musste Jane auch die modernen Lampen von Wainwood ausführlich beschreiben. Da sie selbst erst vor drei Monaten das Herrenhaus betreten hatte, fand sie die vielen Fragen nach dem Leben auf Wainwood nur zu verständlich. Sie wurde bei ihren Erzählungen von der Zofe Annabell Higgens unterstützt, die noch einigen gehässigen Tratsch und die Beschreibung der Ballkleider beisteuern konnte. Annabell war es auch, die von dem Mord berichtete, während Jane sich ganz darauf konzentrierte, ihren Anteil der unter dem Gesinde streng bemessenen Zuckerration in den Tee zu rühren.
Anders als in Wainwood speisten alle Dienstboten an einem langen Tisch in der Küche, was Jane das Gefühl gab, bei einer großen Familie zu Gast zu sein. Die geschäftige Wärme zwischen den Töpfen vertrieb alle Gedanken an falkenköpfige Götter und ein frisch ausgehobenes Grab im frostharten Boden. Auf dem gusseisernen Ofen stand stets ein brodelnder Kessel mit heißem Wasser bereit, denn in der Küche gab es zu wenig Spülbecken für all das Geschirr, das jeden Tag anfiel. Dass einzige Wasserklosett war selbstverständlich den Herrschaften vorbehalten. Für alle anderen gab es ein Plumpsklo, das täglich geleert werden musste und neben dem stets ein frisches Bündel duftender Kräuter hing, um den ärgsten Gestank zu vertreiben. Es war zugig, düster und von grau getünchter Einfachheit, genau wie der Rest des Kellergeschoßes. Allein die Küche prangte inmitten der Grundfesten des Hauses wie dessen emsig stampfender Motor, vom frühen Morgen bis tief in die Nacht voll Betriebsamkeit, Gerede und Licht. An einer Wand waren in einer langen Reihe Puddingschalen in allen erdenklichen Formen angebracht, die kupfern im Licht der Gaslampen blitzten. Einige waren wie Blumen geformt und mit Ranken verziert, andere wie geometrische Figuren und eine sogar wie eine Burg mit Türmen.
Wie Jane in den nächsten Tagen herausfinden sollte, waren Puddings und Gelees für das stumme Leiden des gesamten Haushaltes verantwortlich. Mrs Pearce trug einen Satz falscher Zähne aus reinem Elfenbein im Mund und bevorzugte weiche Nahrung. Das Ergebnis war eine Fülle von Früchtegelees, Fleisch- und Milchpuddings und, nicht zu vergessen, Aspik in jeder nur denkbaren Variante. Es standen nie weniger als zwei oder drei gefüllte Kupferformen in der
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