Wainwood House - Rachels Geheimnis
stellte Julian die schweren Bände zurück ins Regal, während Penelope das Licht löschte. »Er wird dein Pferd gesehen haben«, raunte sie dem jungen Mann im Dunkeln zu.
»Ich werde ihn ablenken«, stimmte Julian wispernd zu. »Halte dich hier in der Kammer versteckt und schlüpfe bei der ersten Gelegenheit hinaus. Falls jemand fragt, werde ich sagen, dass du einen Spaziergang ins Dorf gemacht hast, auf dem ich dich ein Stück begleitet habe.«
Penny drückte seine Hand zum Zeichen, das sie verstanden hatte. Dann trat Julian an ihr vorbei in den Gang hinaus, der zur Sakristei führte. Sie blieb allein zwischen den jahrhundertealten Aufzeichnungen zu rück. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Zwielicht, das vom Gang hereinfiel. Klar und deutlich hörte sie das Gebet der beiden Männer über dem Sarg und Julians Schritte auf dem Gang. Dann verstummten die Stimmen und nur wenig später kratzte die Tür zum Altarraum über den groben Stein. Im selben Moment schien es Penelope, als würden die Wände näher an sie heranrücken. Der süßlich herbe Geruch der alten Bücher nahm ihr die Luft zum Atmen. Als sie hörte, wie Julian die Tür zum Kirchenschiff hinter sich zuzog, konnte Penelope keine Sekunde länger warten. Sie schlüpfte auf Zehenspitzen auf den Gang hinaus und tastete sich mit der Hand an der Mauer entlang. Obwohl sie wusste, dass niemand außer ihr hier war, musste sie den Impuls unterdrücken, sich umzudrehen und zurückzusehen.
Natürlich war es Unsinn. Es gab in diesem Gang nichts außer Staub und blassen Wachsflecken auf den Steinen. Sie hörte hinter sich keine Schritte in der Dunkelheit. Und nur durch eine Tür von ihr getrennt, standen drei Gentlemen in einer Totenandacht versammelt. Nichts hätte ehrbarer sein können als diese Christenpflicht. Wovor sollte sie sich also fürchten? Außer vielleicht vor der Aussicht, ihren Eltern erklären zu müssen, warum sie Hals über Kopf von Wainwood aufgebrochen war, mit nichts als einem formlosen Vormittags kleid unter ihrem Mantel, um in verstaubten Kirchenbüchern zu lesen. Lord und Lady Derrington hatten mitunter unbequeme Ansichten darüber, was sich für ihre beinahe erwachsenen Töchter schickte. Und Penelope konnte gut auf ihre vorwurfsvollen Blicke und geduldigen Ermahnungen verzichten. Vermutlich würde sie nicht mehr rechtzeitig zum Dinner zurück sein. Spätestens für das mütterliche Verhör beim Tee musste sie aber eine passable Ausrede für ihren Ausflug zur Hand haben.
Sie hielt lauschend vor der Tür zur Sakristei inne, als sie einen leichten Zugwind im Nacken spürte und einen schmalen Lichtstreifen am Boden entdeckte. Am anderen Ende des Korridors gab es einen weiteren Ausgang hinaus, eine Tür, die geradewegs ins Freie zu führen schien. Vermutlich handelte es sich um den Hinter eingang, den der Pfarrer wählte, wenn er am Sonntag zum Gottesdienst nicht das ganze Kirchenschiff durchqueren wollte, um zum Altar zu gelangen. Penelope zögerte nicht. Noch immer auf Zehenspitzen und mit geschürzten Röcken schlich sie den Gang entlang. Die Tür klemmte, gab aber ohne Knarren nach.
Sie trat auf einen schmalen Weg hinaus. Links von ihr, jenseits der Friedhofsmauer, lag das Cottage des Pfarrers und sie hatte einen guten Blick auf die Reihen von Kohlköpfen seines winterfesten Gemüsegartens. Ein paar Hühner pickten zwischen den Beeten nach Futter. Eine Katze pirschte unter dem Brombeergestrüpp hindurch. Unmittelbar vor ihr waren die schlichteren Gräber der ärmeren Pächter und einfachen Dienstboten aufgereiht, die hier zur letzten Ruhe gebettet worden waren. Auf einigen von ihnen stand ein grober Stein oder zumindest ein Kreuz, doch die bescheidensten Grabstellen waren gar nicht gekennzeichnet. In der letzten Reihe stieg der Totengräber gerade aus dem Loch, das er frisch ausgehoben hatte. Er tippte sich grüßend an die Mütze, als er Penelope entdeckte. Sie ließ sich zu einem huldvollen Kopfnicken herab, bevor sie zur rückwärtigen Pforte des Friedhofs hinüberschritt. Das kleine Gittertor stand offen. Es war bereits seit Jahren nicht mehr bewegt worden. Rost hatte die Angeln überzogen. Das Unkraut wucherte durch die eisernen Gitterstäbe.
Von hier aus führte ein Feldweg ins Dorf. Er schlängelte sich durch die Äcker und verwaisten Wiesen. Der Boden war uneben, doch zumindest nicht matschig. Die Gefahr, ihrem Vater zu begegnen, schrumpfte mit jedem Schritt, der sie weiter vom Friedhof wegführte. Penny blieb erst stehen,
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