Wainwood House - Rachels Geheimnis
Gewicht ächzte. »1860 bis 1890. Hier könnten wir fündig werden. Teilen wir die Bände auf.«
Die Aussicht, sich durch die seitenlangen Auflistungen von Tauf-, Hochzeits- und Todesdaten zu quälen, versetzte Penelopes detektivischer Begeisterung einen weiteren Dämpfer. Das ganze Unterfangen hatte sich sehr viel besser ausgenommen, als sie sich noch beim Nachbarschaftsklatsch im Salon ihrer Mutter zu Tode gelangweilt hatte. Julian hingegen schien ehrlich erfreut. Er drehte die Flamme der Lampe höher und beugte sich über die dünnen, vergilbten Seiten, um die krakelige Handschrift der Geistlichen zu entziffern. Mit mehr gutem Willen als hehrer Begeisterung schlug Penelope das Kirchenbuch des jüngsten Jahrzehntes auf. Hier bestand immerhin eine gewisse Chance, auf vertraute Namen zu stoßen. Das Hochzeitsdatum ihrer Eltern etwa. In der langen Reihe von Schriftzügen und Jahreszahlen fielen ihr auch die Namen einiger langjähriger Dienstboten und alteingesessener Familien des Dorfes auf. Menschen, die zwar zu ihrer engsten Nachbarschaft zählten und sogar im selben Haus wie sie lebten, ihr jedoch nicht vertrauter waren als die starren Gesichter der Ahnengalerie.
»Hier ist etwas«, unterbrach Julian ihre Gedanken. »Ein Taufeintrag vom 18. Juli 1866. Rachel Amelia Goodall, mit den Taufpaten – ach, unwichtig, jetzt wird es spannend; erste Tochter des Earl of Derrington«, las er ihr vor, während Penelope neben ihn trat, um einen Blick in das Buch zu werfen. Er brach ab und sah sie triumphierend an. »Rachel ist eine Tante von dir.«
Penelope überschlug im Kopf die Jahreszahlen. »Sie müsste heute einundvierzig sein, fast so alt wie Papa. Warum haben wir noch nie von ihr gehört?«
Julian schloss den ledernen Einband und zog das Buch der Achtzigerjahre des vorherigen Jahrhunderts heran. »Dafür gibt es eigentlich nur zwei mögliche Erklärungen. Sie könnte geheiratet haben oder sie ist gestorben.«
»Wenn sie verheiratet ist, gäbe es doch keinen Grund, sie zu verleugnen, oder?«, wandte Penny ein. Jetzt hielt sie die Lampe in der Hand, um ihm besser leuchten zu können. Aus dem Kirchenschiff drang gedämpft die salbungsvolle Stimme des Pfarrers zu ihnen herein, der die Totenmesse abhielt.
»Das kommt darauf an, wen sie geheiratet hat«, gab Julian trocken zu bedenken. »Sie dürfte etwa neunzehn oder vielleicht zwanzig gewesen sein.« Sein Blick flog über die entsprechenden Jahreszahlen, dann strich er mit den Händen zufrieden die Seite glatt. »Hier ist es!«
Penelopes Augen folgten seinem behandschuhten Zeigefinger über das Papier und die blassblaue Tinte. Am 7. Mai 1885 war Rachel Goodall in ebendieser Kirche getraut worden. Als Penny den Hochzeitseintrag zu Ende las, ergab für sie der gestohlene Brief aus der Bibliothek zum ersten Mal einen gewissen Sinn.
»Feltham«, las sie laut vor. »Rachel hat Thaddeus Feltham geheiratet. Er ist Vaters Schwager und unser Onkel.«
»Und auch von ihm haben wir vor Janes Ankunft noch nie etwas gehört«, stellte Julian fest und stürzte sich von Neuem auf die staubtrockenen Seiten wie ein Falke auf einen besonders saftigen Köder.
»Die beiden könnten in einen dieser Skandale verwickelt gewesen sein, die Tante Mildred so liebevoll ausschlachtet«, gab Penny zu bedenken. »Allerdings hätten wir in diesem Fall schon eine Fülle gehässiger Anspielungen von ihr zu hören gekriegt. Oder vielleicht gab es einen Streit und sie haben sich mit Vater überworfen, so wie in einem von Claires Romanen, wenn der Name der leidenden Heldin für alle Zeiten aus den Familienchroniken gestrichen wird.«
»Ihr Name wurde nicht ausgemerzt«, unterbrach Julian ihre Mutmaßungen und klopfte mit dem Finger auf die entsprechende Zeile. »Sie ist gestorben. Hier ist das Datum ihrer Beisetzung.« Es war dasselbe Jahr, in dem Rachel auch geheiratet hatte. Bei ihrem Tod war sie nur wenig älter als Claire und Penny gewesen.
Wie auf ein geheimes Zeichen hin waren Penelope und Julian verstummt. In ihr Schweigen drang das rhythmische Scharren der Spatenstiche des Totengräbers durch das Mauerwerk. In der Kirche fiel klar und deutlich eine zweite Stimme in das Gebet des Pfarrers ein. Sie war warm und voll und beiden wohlvertraut. Sie tauschten einen erschrockenen Blick. Pennys Lippen formten stumm eine Frage und Julian zuckte zur Antwort mit den Schultern. Der einzige Trauergast bei der Totenmesse war ihr Vater, Lord Derrington.
Als hätten sie bereits für den Ernstfall geprobt,
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