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Wainwood House - Rachels Geheimnis

Wainwood House - Rachels Geheimnis

Titel: Wainwood House - Rachels Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stoffers
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das Dachgestühl.
    »Die alte Nell klaut dem Kutscher seinen Schnaps, das weiß doch jeder, und sie ist kaum noch imstande, die Hühner zu füttern«, wendete Jane ein. Obwohl ihr Vater ihr erklärt hatte, dass es wissenschaftlich gesehen weder arabische Dschinn noch Pharaonenflüche gab, hatte auch sie ihre Stimme zu einem Flüstern gesenkt. Um ihre plötzliche Beklemmung zu vertreiben, fügte sie etwas energischer hinzu: »Der einzige Spuk, den die Alte bemerkt hat, verdankt sie dem selbst gebrannten Schlehenschnaps.«
    »Nell war früher hier Köchin, bevor ihr Lord Derrington das Pförtnerhaus für ihre letzten Jahre überlassen hat«, widersprach Hanna. »Sie kannte die kleine Rachel noch! Außerdem habe ich den Geist auch gesehen.«
    Über diese ungeheuerliche Bemerkung verstummte das rundliche Mädchen prompt. Sie horchten beide angestrengt zum Dachboden hinauf, doch außer dem Wind, der über die Schindeln fuhr und in den Kaminen heulte, rührte sich nichts mehr.
    »Als ich noch in der Küche gearbeitet habe, ganz zu Anfang«, nahm Hanna den Faden der Geschichte wieder auf, »da bin ich eines Nachts besonders spät vom Töpfeschrubben hinaufgekommen. Die Tür zum Dachboden war nicht ordentlich verschlossen. Als ich herantrat, um sie zuzuziehen, habe ich ihn gesehen. Den Geist eines ganz jungen Mädchens in einem weißen Totenhemd, mit blonden Haaren und nackten Füßen. Es ist die Treppe hinaufgehuscht, schneller als der Wind. Keiner wollte mir glauben, aber ich höre seit Jahren immer wieder, wie die Tür zum Boden geöffnet wird und der Geist oben über die Dielen schleicht.«
    Die Furcht stand Hanna deutlich ins rundliche Gesicht geschrieben. Jane konnte sich ohne Weiteres ausmalen, wie ihre Zimmergenossin Nacht für Nacht wach gelegen hatte, um auf das verräterische Knarren zu lauschen, jahrelang gelähmt von unnötiger Angst. Dieser Gedanke machte sie wütender als das alberne Korsett oder Bea trice’ tagtägliche Gehässigkeiten. Über ihnen war ein leises Scharren zu hören. Prompt schnellte Jane in die Höhe. Sie zog sich ein altes Paar Wollsocken über die Füße und bewaffnete sich mit der Kerze.
    »Was hast du vor?«, fragte Hanna irritiert.
    »Ich werde nachsehen«, sagte Jane, »um dir zu beweisen, dass es keine Gespenster gibt!« Zumindest war sie sich dessen nahezu sicher, so wie sie bei hellem Tageslicht nicht daran glaubte, dass sie in der ägyptischen Grabanlage wahrhaftig Hohepriester und heidnische Götter durch die Gänge hatte wandeln sehen. Es musste eine logische Erklärung für die Schritte auf dem Dachboden geben, genauso wie für die mysteriösen Erscheinungen, die sie in Amuth Beli zu sehen geglaubt hatte. Entschlossen, in dieser Nacht zumindest ein Geheimnis zu lüften, zog sie die Tür auf.
    »Warte …«, versuchte Hanna sie zurückzuhalten. »Geh da nicht allein hinauf!«
    »Du könntest mitkommen?« Die Frage ließ ihren Widerspruch verstummen. Als Jane noch einmal zurücksah, stand Hanna neben ihrem Bett, und ihr sommersprossiges Gesicht leuchtete blass wie ein sorgenvoller Mond im Halbdunkel. Dann zog Jane die Tür zu und stand allein in dem nachtschwarzen Flur.
    Energisch rief sie sich in Erinnerung, dass es nichts Übernatürliches in dem Korridor geben konnte. Es war nur ein schmaler, verwinkelter Gang mit kahlen Wänden und einer niedrigen Decke. Die wenigen Gaslampen waren längst gelöscht worden. Hinter der endlosen Reihe Türen war kein Laut zu vernehmen. Selbst der Wind war nur noch gedämpft zu hören. Die Dachbalken ächzten leise. Jane schirmte ihre Kerze mit der Hand vor dem Zugwind ab, als sie zum hinteren Ende des Korridors schlich.
    Die Tür zum Boden war nur angelehnt, und sie fröstelte, als ihr ein Schwall kalter Luft auf der steilen Treppe entgegenschlug. Ihr Licht wand sich heftig flackernd um den Docht und wäre fast erloschen. Um sie herum erwachten die Schatten zum Leben und flohen vor ihr die Stufen hinauf. Es roch muffig nach abgelegten Kleidern und feuchtem Holz, nach moderndem Papier und brüchigem Leder. Vermutlich gab es hier Mäuse. Vielleicht war der dicke Kater zum Jagen heraufgekommen. Oder das alte Holz verzog sich ächzend. Es waren noch fünf Stufen übrig.
    Sie dachte daran, dass sie Hanna ohne ein Nachtlicht zurückgelassen hatte. Wahrscheinlich fürchtete sie sich alleine in der finsteren Kammer mehr als Jane sich selbst auf der steilen Treppe. Denn natürlich hatte sie keine Angst! Schließlich gab es hier oben nichts, das

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