Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wainwood House - Rachels Geheimnis

Wainwood House - Rachels Geheimnis

Titel: Wainwood House - Rachels Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stoffers
Vom Netzwerk:
jemand rief ihren Namen. Jane rannte los.
    Sie tauchte blindlings unter dem ausgestreckten Arm des Horus hindurch und rannte, wie sie noch niemals zuvor gerannt war. Ohne einen Weg vor sich zu erkennen, hetzte sie durch den lang gezogenen Raum. Sie stieß an Balken und stolperte gegen Möbel, ohne langsamer zu laufen. Dicht hinter ihr polterten Schritte über die Dielen, nicht nur von einem, sondern von mehreren Verfolgern. Wieder wurde Janes Name gerufen, dieses Mal von der Treppe her. Von dort schien ein goldener Lichtkranz durch die Dunkelheit und ein weißes Nachthemd leuchtete in der Schwärze auf.
    »Jane?!«
    Es war Hannas Stimme. Die sanftmütige, löwenherzige Hanna, die sich trotz ihrer Angst vor dem Spuk mit einer frischen Kerze auf den Boden getraut hatte. Jane flog mit weiten Schritten auf sie zu. Als sie fast an der Treppe war, schloss sich von hinten ein eiserner Griff um ihren Arm. Jetzt endlich schrie Jane gellend auf. Hanna folgte ihrem Vorbild auf dem Fuße und schrie aus Leibeskräften. Zusammen mit Jane war der falkenköpfige Gott am oberen Ende der Treppe angekommen. Drohend ragte er über ihr auf und hielt sie fest. Doch er war nicht allein in den Lichtkreis getreten.
    »Lassen Sie auf der Stelle das Mädchen los!«, verlangte eine Stimme in jenem befehlsgewohnten Tonfall, den Englands Adel über die Jahrhunderte hinweg perfektioniert hatte. Julian Rushforth war hinter der Horusgestalt aufgetaucht und stellte sich in der Manier eines wahren Gentlemans schützend vor die beiden Dienstmädchen. Sein heldenhafter Auftritt wurde auch dadurch nicht geschmälert, dass er einen gestreiften seidenen Morgenmantel über seinem Schlafanzug trug. Hinter ihm eilte Lady Penelope in einem bodenlangen gerüschten Nachthemd herbei.
    Einen bizarren Moment lang glaubte Jane, doch noch in einem ihrer Albträume gefangen zu sein, nur dass er dieses Mal von Ägypten nach England verlegt worden war. Die falkenköpfige Erscheinung war neben ihr zu Stein erstarrt. Der Griff um ihren Oberarm war so fest, dass er schmerzte. Keiner wagte es, das groteske Wesen anzugreifen. Und niemand trat ihm in den Weg, als der Horus Jane losließ und fluchtartig die Treppe hinabstürmte. Aus dem Korridor unter ihnen drang das Geklapper von Türen zu ihnen herauf, Wortfetzen und ein erschrockener Schrei, doch niemand schien das Bedürfnis zu haben, die Erscheinung zu verfolgen. Die kleine Gruppe stand starr vor Schrecken um Jane versammelt und sah die Stufen hinab.
    »Das war außergewöhnlich«, brach Mr Rushforth endlich das Schweigen. Er klang nicht mehr länger wie ein gefasster Gentleman, sonder wieder wie ein Heranwachsender, der gerade erst die Schule abgeschlossen hatte und sich noch lebhaft an all die Schauergeschichten erinnern konnte, die sich die Internatsschüler nachts flüsternd in den Schlafsälen erzählt hatten. »Ist das tatsächlich passiert?«
    Er glaubte nicht allein, unverhofft in einen Albtraum geraten zu sein. Auch Jane musste sich Gewissheit verschaffen. »Dann haben Sie alle es ebenfalls gesehen?«, fragte sie beschwörend und sah einen nach dem anderen an. Nacheinander nickte erst der junge Mann, dann Lady Penelope und schließlich Hanna mit einem unterdrückten Schluchzen. Diese Erkenntnis schien den Bann zu brechen und plötzlich redeten alle durcheinander. Jeder beschrieb gleichzeitig in seinen eigenen Worten, wie die Gestalt plötzlich aufgetaucht war und was sie erkannt hatten. Jane rieb sich den Oberarm und Hanna hatte schutzsuchend einen Arm um sie geschlungen. Das Durcheinander endete erst, als Beatrice von unten die Treppe heraufkam. »Was ist hier los?«, verlangte sie zu wissen und verstummte sofort wieder, als sie Lady Penelope und Mr Rushforth erkannte.
    Für einen Moment hing in der Gruppe ein feindseliges Schweigen wie ein Misston in der Luft. Ohne dass eine Absprache nötig gewesen wäre, wollte keiner von ihnen damit herausrücken, was sie tatsächlich gesehen hatten. »Hier oben hielt sich offenbar ein Eindringling versteckt«, übernahm es Mr Rushforth endlich, das Wort zu führen. »Wir alle haben ihn gehört und auch gesehen.«
    Beatrice nickte zur Bestätigung. »Es ist jemand den Korridor entlanggelaufen. Die anderen Mädchen, nun, ich schäme mich, es zu sagen, offenbar glauben sie, ein Ungeheuer gesehen zu haben.«
    »Die Dunkelheit spielt uns allen Streiche«, behauptete Mr Rushforth, ohne eine Miene zu verziehen. »Am besten sagen Sie den Mädchen, dass sie in ihren Zimmern bleiben

Weitere Kostenlose Bücher