Wainwood House - Rachels Geheimnis
aber musste die Fackeln entzündet haben, deren Licht sie ohne jeden Zweifel gesehen hatte.
Scheinbar war sie nicht die Einzige, deren Gedanken um ungeheuerliche Erscheinungen kreisten. Sie konnte hören, wie ihre Bettnachbarin sich herumdrehte und eine bessere Lage zum Einschlafen suchte. »Gibt es solche Geschöpfe in Ägypten?«, fragte Hanna flüsternd von ihrem Bett aus.
»Nein, nur alte Götzenkulte. Die Totenpriester der Pharaonen haben bei der Bestattung Hundemasken getragen, um den Gott Anubis zu verkörpern, aber es waren dennoch nur Menschen aus Fleisch und Blut«, flüsterte Jane schläfrig zurück. »Sie haben so fest an Magie geglaubt wie wir heute an die Wissenschaft. In einigen Gräbern wurden Papyrusrollen mit Anweisungen für Liebes- und Traumzauber gefunden.« Während sie spürte, wie ihre Füße langsam warm wurden, und mit der Gewissheit, dass sie nicht allein war, glaubte Jane jetzt sogar doch noch einschlafen zu können.
»Sie haben Träume verzaubert?«, fragte Hanna plötzlich hellwach. Die eisernen Bettfedern quietschten, als sie sich aufsetzte. »Auch Albträume?«
Obwohl Jane ihren Blick im Rücken spürte, blieb sie auf die Seite gedreht liegen und gab vor zu schlafen.
Penny hatte den Schlüssel zweimal im Schloss herumgedreht und das Feuer im Kamin geschürt, dennoch fiel sie erst am frühen Morgen in einen unruhigen Schlaf. In ihren Träumen war sie wieder neun Jahre alt und spielte mit dem Kater Bonifacius und Julian auf dem Dachboden verstecken. Nur, dass dieses Mal etwas Unheimliches zwischen den abgeschabten Koffern auf der Lauer lag. Wie ein Schatten, der sich ihnen jedes Mal entzog, wenn sie ihm zu nahe kamen, dessen Blicke sie jedoch stets im Nacken spürte. Endlich glaubte Penny etwas an der Treppe zum Glockenturm zu entdecken. Die Stufen knarrten über ihrem Kopf, doch anstelle des Mannes mit dem Falkenhaupt stieg das ägyptische Dienstmädchen herunter. Es wollte Penelope etwas sagen, doch als es anfing zu sprechen, verwandelte es sich vor ihren Augen.
Obwohl Penny in ihrem Traum weder Gesicht noch Haare erkannte und noch nicht einmal mit Sicherheit hätte sagen können, wie die Gestalt auf der Treppe ausgesehen hatte, wusste sie ganz bestimmt, dass es die tote Rachel war. Auch Rachel wollte etwas sagen, aber so wenig, wie Penny ihr Gesicht erkennen konnte, verstand sie ihre Worte. Je mehr sie sich bemühte, sie zu verstehen, umso mehr verschwammen die Sätze. Und dann hörte sie plötzlich ein vernehmliches Knacken. Penelope blinzelte irritiert in das dunkle Zimmer und brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass das metallische Knacken nicht aus ihrem Traum stammte. Stattdessen drückte jemand die Klinke ihrer verschlossenen Tür herunter.
Sogleich hellwach, mit einem entsetzlich trockenen Mund, schlug Penny die Decken zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Sie pirschte auf bloßen Füßen durch das Zimmer und blieb dicht vor der Tür stehen.
»Wer ist da?«, fragte sie leise. Die Vorstellung, es könnte der Falkengott sein, der vor ihrem Zimmer im Korridor stand, ließ sie sich nach einer brauchbaren Waffe umsehen. Einem Schürhaken etwa oder einer bauchigen Vase.
»Sally, Lady Penelope«, tönte es verschüchtert und kein bisschen bedrohlich von der anderen Seite der Tür. »Ich wollte Sie nicht wecken. Ich wollte nur Feuer machen.«
Nach dem ersten Moment der Erleichterung kam Penelope sich entsetzlich dumm vor. »Natürlich …« Sie drehte den Schlüssel herum. Das Schloss sprang mit einem mechanischen Klacken auf. Durch die Vorhänge fiel noch kein Tageslicht und Penny kroch zurück in die Wärme ihres Bettes. Mit der beruhigenden Gewissheit, dass nun im ganzen Haus die Dienstboten ausschwärmten, um auf leisen Sohlen alle Vorkehrungen für den neuen Tag in Wainwood House zu treffen, streckte sie sich unter der Decke aus, um noch einmal einzuschlafen.
Doch ihr saß das Abenteuer der letzten Nacht immer noch in den Knochen, als Hanna zum Wecken hereinkam. Angesichts der vielen Gäste wählte sie ein pastellfarbenes Kleid mit breitem Kragen aus. Die gebauschten Ärmel unterstrichen ihre schlichte, mädchenhafte Frisur noch und ohne die Schatten unter ihren Augen wäre der Anblick holder Unschuld vollkommen gewesen. Aber Penelope blinzelte genauso müde in den Spiegel wie das Dienstmädchen, das ihr nun die Haare kämmte und die Schleifen zurechtzupfte. Doch zumindest ihre Familie war an diesen Anblick gewöhnt, denn Penny blieb oft genug die halbe Nacht
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