Wainwood House - Rachels Geheimnis
auf, um heimlich zu lesen.
Was dem Mädchen weit mehr Sorgen bereitete, als es das Speisezimmer betrat, war Beatrice, die sie zusammen mit Julian auf dem Dachboden gesehen hatte. Penelope glaubte nicht, dass Hanna oder Jane sie verpfeifen würden. Aber Beatrice tuschelte entschieden zu gerne mit Claire, um ihre diese Neuigkeit nicht am Morgen in ihrem Zimmer mit der ersten Tasse Tee auf dem Silbertablett zu servieren. Und war Claire erst im Bilde, war es nur eine Frage der Zeit, bis auch ihre Mutter von den jüngsten Eskapaden ihrer Tochter erfuhr.
Derart in Gedanken versunken, trat Penny an das Buffet auf der Anrichte. Sie füllte sich mit einem energischen Schwung eine Portion Rührei mit krossen Speckscheiben auf ihren Teller und sah so grimmig auf ihren warmen Toast, als wäre er mit reinem Gift bestrichen. Ihre einzige Hoffnung bestand darin, dass ihre ganze Familie die Nachricht von einem nächtlichen Eindringling nach Möglichkeit unter den Teppich kehren würde, solange die Gäste der Jagd noch im Haus waren. Sollte nichts gestohlen worden sein, würde vermutlich noch nicht einmal die Polizei verständigt werden.
Und was, dachte Penny, als sie mit ihrem Teller an der Tafel Platz nahm, hätten sie den Polizisten auch erzählen sollen? Dass sie auf dem Dachboden einen ägyptischen Gott gesehen hatten, der seit knapp zweitausend Jahren nicht mehr verehrt wurde? Ausnahmsweise war Penelope ihren Eltern dankbar dafür, dass sie stets um jeden Preis lästige Fragen und das Gerede der Nachbarn vermeiden wollten.
Sie riskierte einen Blick die Tafel hinab, nur um festzustellen, dass ihr erfreulicher Weise niemand Beachtung schenkte. Die Gäste saßen zwanglos an der Frühstückstafel verteilt. Vereinzelt wurden Briefe gelesen oder die Zeitung studiert. Da die meisten Damen sich das Frühstück aufs Zimmer bringen ließen, waren es fast ausschließlich Gentleman jeden Alters und die Gespräche kreisten noch immer um die Jagd.
Julian saß am anderen Ende des Tisches bei einem jungen Mann mit dandyhaft langem Haar, dessen graue Seidenweste ganz hervorragend das Blau seiner Augen betonte. Zwischen den beiden schien eine gewisse Ver trautheit zu herrschen, auch wenn Penelope Julian lange genug kannte, um seine Zurückhaltung dem jungen Mann gegenüber aus seiner Haltung herauszulesen. Er bemerkte ihren Blick und schüttelte kaum merklich den Kopf, zum Zeichen, dass es bisher keine Neuigkeiten über den Eindringling gab.
Pennys Aufmerksamkeit kehrte mit spürbarer Erleichterung und frischem Appetit zu dem Rührei zurück. Es war eine Portion, die eine Herausforderung an ihr Korsett darstellte, die sie aber vollkommen angemessen fand nach der durchwachten Nacht und der Götterdämmerung auf dem heimischen Speicher. Ihre Laune besserte sich zusehends mit jedem Bissen und jedem Schluck süßen Tees. Erst das Gefühl, dass sie jemand beobachtete, ließ Penny aufsehen. Claire hatte ihr gegenüber Platz genommen, das zarte Kinn auf ihre verschränkten Fingern gebettet, und mit einem Funkeln in den Augen, das nichts mit ihrem üblichen Morgenverdruss gemein hatte.
»Ausgeschlafen?«, erkundigte Claire sich mit einem Gurren, bei dem Penny fast der Toast im Hals stecken blieb. »Nach dem Ritt gestern musst du doch völlig erschöpft gewesen sein?«
»Oh, du kennst mich, ich habe noch etwas gelesen«, erklärte Penny leichthin und spießte zielsicher ein Stück Speck mit der Gabel auf.
» Erbauliche Predigten zur Erhebung des Geistes und der Förderung der rechten Gesinnung ?«, erkundigte sich Claire hinterlistig.
»Nein, ein Band über ägyptische Gottheiten«, rutschte es Penny heraus. »Du weißt schon, Anubis, Seth, Horus …«
Obwohl sie nicht besonders laut gesprochen hatte, war sie doch zumindest am oberen Ende der Tafel zu hören gewesen. Ihr Vater sah sie mit einem ärgerlichen Stirnrunzeln über den Rand seiner Zeitung hinweg an. Ansonsten schien niemand von ihrer Äußerung Notiz zu nehmen. Nichts deutete darauf hin, dass einer ihrer Gäste den falkenköpfigen Mann zu Gesicht bekommen oder auch nur einen Gedanken an Horus verschwendet hatte. Lediglich zu Claires Linken sah ein Gast auf und fragte mit höflicher Aufmerksamkeit: »Interessieren Sie sich für Ägypten, Lady Penelope?«
»Ja, außerordentlich«, antwortete Penny, ohne zu ihrem Vater hinüberzusehen. »Es hat so viele Ausgrabungen in den letzten Jahren gegeben.«
Obwohl sie einander vorgestellt worden waren, konnte sie sich beim besten Willen nicht
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