WAKE - Ich weiß, was du letzte Nacht geträumt hast (German Edition)
anderen umbringt.
Zumindest bis jetzt nicht.
Vor allem sie nicht.
Und jedes Mal, wenn er es träumt, klingelt es, bevor Janie herausfindet, ob sie ihm helfen kann. Bei was helfen? Wie helfen?
Sie hat keine Ahnung, keine Möglichkeit. Warum bitten all diese Menschen sie um Hilfe? Sie kann nicht helfen.
Kann es schlichtweg einfach nicht.
Aber in diesen Tagen schafft sie im Lesesaal nicht viel.
03:55 Uhr
Die Langschläfer, Zuspätkommer und Scheiß-drauf-Leute sind entweder alle da oder wurden von den Lehrern von der Liste gestrichen. Carrie sitzt vorne bei Melinda.
Janie setzt sich ganz hinten rechts ans Fenster, so weit weg von den anderen wie möglich, und packt ihre Tasche in das Fach über dem Sitz. Sie ist froh, dass die Toilette im vorderen Teil des Busses ist. Den Fernseher dreht sie so, dass sein blaues Leuchten sie nicht stört, und stellt den Sitz zurück, doch er stößt schon nach einem kurzen Stück an die Rückwand.
Noch bevor der Bus beladen ist, döst sie ein.
04:35 Uhr
Wasser, das ihr ins Gesicht spritzt, weckt sie unsanft auf. Sie treibt vollständig bekleidet in einem See. Zittert. Ein Junge namens Kyle fällt schreiend vom Himmel, immer wieder, bis er schließlich im Wasser landet. Doch er kann nicht schwimmen. Janie spürt, wie ihre Finger taub werden, und tritt heftig mit den Füßen, damit es aufhört, damit sie aus dem Traum entkommt.
Und da geschieht es.
Janie blinzelt und setzt sich verwirrt auf. Über dem Sitz vor ihr taucht schemenhaft ein Gesicht auf. »Was soll das?«, fragt Kyle. »Lass das, ja?«
»Sorry«, flüstert Janie. Ihr Herz hämmert wild. Die Träume vom Ertrinken sind die schlimmsten. Fast.
Sie hört ein leises Flüstern neben sich, noch bevor sie wieder klar sehen kann. »Alles in Ordnung, Hannagan?« Carl legt den Arm um sie. »Du zitterst ja. Hattest du gerade einen Anfall oder so was? Soll ich den Bus anhalten lassen?«
Janie sieht ihn an. »Oh, hi.« Sie klingt heiser. »Ich habe dich gar nicht gesehen. Ähm …« Sie schließt die Augen, versucht zu denken, hebt schwach einen Finger, um ihm zu erklären, dass sie noch einen Moment braucht. Aber sie spürt schon den nächsten. Sie hat nicht viel Zeit. Muss ihn vorwarnen. Hat keine andere Wahl.
»Carl, flipp nicht aus, wenn … wenn ich das noch mal mache, ja? Halt NICHT den Bus an. Sag es NICHT den Lehrern, oh Gott, bloß nicht! Egal was passiert!« Sie klammert sich an die Armlehne und kämpft um ihr Sehvermögen. »Kannst du mir vertrauen? Vertrau mir und lass es einfach geschehen.«
Die starke Konzentration schmerzt höllisch. Sie krümmt sich und hält sich den Kopf. »Oh Scheiße, Scheiße, Scheiße!«, ruft sie im Flüsterton. »Was für eine saublöde Idee von mir, hier mitzufahren. Bitte, Carl, hilf mir! Mach, dass … niemand … aaah! … mich sieht!«
Carl starrt Janie an. »Okay«, sagt er. »Okay. Mann!«
Doch sie ist fort.
Die Träume stürmen von allen Seiten unablässig auf sie ein. Janies Sinne sind völlig überlastet. Dies ist ihr eigener, geistiger und emotionaler dreistündiger Albtraum.
07:48 Uhr
Janie öffnet die Augen. Irgendjemand spricht in ein Mikrofon.
Als sich der Nebel lichtet und sie endlich wieder sehen kann, erkennt sie Carls Gesicht. Es ist weiß, er hat die Augen aufgerissen, seine Haare sind wirr. Sein Arm liegt um ihre Schultern.
Eigentlich hat er sie eher an den Schultern gepackt.
Ihr ist nach Weinen zumute und sie tut es auch ein wenig. Schließt die Augen und rührt sich nicht. Kann es gar nicht. Die Tränen purzeln hervor. Carl wischt sie sanft mit dem Daumen fort.
Dadurch weint sie nur umso stärker.
08:15 Uhr
Der Bus hält auf einem McDonald’s-Parkplatz. Alle steigen aus. Alle außer Janie und Carl.
»Hol etwas zu essen«, verlangt sie mit einem müden Flüstern. Sie hat ihre Stimme noch nicht ganz wiedergefunden.
»Nein.«
»Im Ernst. Mir geht es gut, jetzt, wo die anderen … weg sind.«
»Janie!«
»Holst du mir dann wenigstens ein Sandwich zum Frühstück?« Sie atmet immer noch schwer. »Ich muss etwas essen. Irgendetwas. Egal was. In meiner rechten Manteltasche ist Geld.« Es scheint zu anstrengend, den Arm zu bewegen.
Carl sieht sie aufmerksam aus rot geränderten Augen an, nimmt seine Brille ab und kneift sich in den Nasenrücken, reibt sich die Augen. Er seufzt tief auf. »Bist du sicher, dass es dir gut geht? Ich brauchekeine fünf Minuten.« Er scheint unschlüssig, sie allein zu lassen.
Janie versucht müde
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