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Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
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ein. Cumín zog am Mate, bis der letzte Tropfen Wasser aufgesaugt war.
    »Die Dinge ändern sich eben«, sagte er.
    Zwei weitere Hunde fielen in das Gejaule ein, sie schienen völlig außer Rand und Band, als wollten sie den Mond anheulen.
    »Sehen Sie? Jetzt werden meine Hunde schon zu Wölfen …«
    Cumín konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Die ganze Situation amüsierte ihn.
    »Nur keine Sorge. Sie bleiben die Nacht über hier, und morgen geht’s weiter. Sie haben sowieso keine Wahl. Nehmen Sie mein Angebot einfach an, und dann ist es jetzt auch gut damit.«
    »Ich danke Ihnen.«
    »Anstatt mir zu danken, erzählen Sie mir lieber, was da draußen vor sich geht. Hier funktioniert nämlich nicht mal das Radio. Und auch die Zeit steht still …«
    Er wies mit der Messerspitze auf eine Wanduhr, die unter einer Reihe von Mänteln hervorragte.
    »Die Uhr da haben wir mitgebracht, als wir herzogen, aber jetzt ist sie kaputt.«
    Lilith sah, dass die Uhr auf Punkt drei stehengeblieben war.
    »Und woher wisst ihr dann, wie spät es ist?«, staunte sie.
    »Gar nicht. Genauso wenig wie wir wissen, ob heute Freitag oder Samstag ist.«
    »Heute ist Sonntag.«
    »Ich hab’s dir doch gesagt«, flüsterte Lemún, »du bist dran.«
    Er gab Nahuel einen Schubs, und dieser lief ohne Widerrede hinaus in das tobende Gewitter. Lilith sah zu ihrem kleinen Bruder hinüber, der wie am Spieß brüllte und an seinen Tränen fast erstickte. Sie beugte sich zu ihm herunter.
    »Hab keine Angst«, sprach sie ihm leise ins Ohr, »es ist alles in Ordnung.«
    Lemún und Yanka tauschten einen Blick und sahen dann zu Cumín hin, der drei von der Decke hängende Würste abschnitt.
    »Ich behaupte immer das Gegenteil.«
    »Dass nichts in Ordnung ist und man Angst haben sollte?«
    Er nickte und legte die Würste auf die Glut.
    »Glaubst du nicht an Monster?«, fragte er Lilith.
    »Meinen Sie, es gibt welche?«
    »Sie hocken vielleicht nicht unterm Bett, aber sie könnten hinter der nächsten Ecke lauern.«
    »Hier gibt es keine Ecken«, erklärte Lilith, ohne mit der Wimper zu zucken.
    Cumín bemerkte, dass der Mann mit dem Hut schmunzelte und Lilith nicht aus den Augen ließ. Er war ihm nicht geheuer, selbst sein Lächeln wirkte eisig. Er hatte etwas von einem Roboter. Ungesellig und steif stand er da wie ein bekleidetes Gerüst. Als wäre er innen drin ganz und gar leer.
    Das konnte aber nicht sein, denn niemand außer einer Leiche war jemals völlig leer. Und in den Augen dieses Mannes sah man den Tod nicht. Diesen Blick kannte er von damals, als er klein war, als sie nichts besaßen, nicht einmal ein Stück Erde. Er konnte die Verachtung spüren, die sich unter der falschen Höflichkeit verbarg. José hingegen spürte, wie Kälte und Wind durch den Nylonstoff drangen, der in die Fensterrahmen gespannt war. Als er merkte, dass es auf seine Schuhe regnete, trat er einen Meter zur Seite. In der Decke waren mehrere undichte Stellen, es regnete durch. Es war ihm unerträglich, sich in einem Loch wie diesem verstecken zu müssen. Doch das hatte er sich selbst eingebrockt. Er hatte ja darauf bestanden, den Landweg zu nehmen, dabei hätte er komfortabel mit dem Zug reisen können und wäre an der Endstation sogar abgeholt worden. Doch die Angst, entdeckt zu werden, war zu groß. Der Schlüssel zum Überleben bestand darin, niemandem über den Weg zu trauen, sich in Luft aufzulösen, keine Spuren zu hinterlassen.
    »Warum setzen Sie sich denn nicht«, sagte Cumín; wie eine Frage klang es nicht.
    José gehorchte; er hörte dem Hausherrn jetzt aufmerksam zu. Mochten sie ihre Bücher zum Feuermachen nutzen, ungebildet wirkte der Mann nicht. Auch in den Augen der Kinder las er eine gewisse Weitsicht, sie schienen es irgendwie geschafft zu haben, der endlosen Öde um sie herum zu trotzen. Sie machten sich ihre eigenen Vorstellungen von den Dingen. Allzu lange waren sie wohl noch nicht hier, auch sie waren vor etwas auf der Flucht. Der Deutsche erkannte solche Dinge auf Anhieb, ein Blick in die Augen genügte. Inzwischen hatte Cumín die Würste aus dem Feuer geholt. Er legte sie auf ein Holzbrett und schnitt sie in Stücke.
    »Ihr seid also gemeinsam unterwegs«, bemerkte er und rückte die Würste zurecht.
    »Nicht direkt«, antwortete Enzo, dem aufgefallen war, wie distanziert und wortkarg der Deutsche war, wie wenig er sich bemühte, am Gespräch teilzuhaben. »Wir haben uns erst vor ein paar Stunden kennengelernt.«
    »Dann hält euch also die Angst

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