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Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
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höchstens eine leichte allergische Reaktion. Warum besprechen Sie das nicht bei Gelegenheit mit ihr und Ihrer Frau?«
    »Da gibt es nichts zu besprechen.«
    Enzos Ton klang harsch, und José verstummte.
    Dann schob Enzo nach: »Wann kommt eigentlich Ihre Frau?«
    »Bald«, behauptete José.
    Sie sei dabei, Vorkehrungen für die Reise zu treffen, habe noch ein paar Dinge in Buenos Aires zu erledigen. Die Wahrheit war, dass er seine Frau nie wieder angerufen hatte und dies auch nicht vorhatte. Er war sich sicher, dass seine Verfolger sie im Visier hatten. Sie durfte auf keinen Fall sein Versteck kennen. Enzo wandte sich ab und ging wieder ins Haus. José war kurz davor, ihm hinterherzubrüllen, er sei mit ihm noch lange nicht fertig, habe ihm noch einige Fragen zu stellen. Aber er hatte Enzo nichts zu befehlen. Verflucht. Er hatte sich geschworen, keine Verhöre mehr zu veranstalten, doch leicht fiel ihm das nicht. Mit Angehörigen niederer Rassen ein halbwegs normales Gespräch zu führen verlangte ihm alles ab. Jahrelang hatten die Menschen ihm Rede und Antwort gestanden, ohne auch nur den Blick zu heben. Aus Angst und Schwäche hatte sich ihm niemand widersetzt. Nur diejenigen, die wussten, dass es für sie keine Hoffnung mehr gab, hatten ihn beschimpft und verflucht.
    Niemand kannte seine Adresse, und doch gingen bald eine ganze Reihe Einladungen bei ihm ein. In Bariloche lebten mehrere deutsche Kameraden, die ihn zu Diners, kleinen Empfängen, Jagd- und Angeltreffen baten. Die Stadt pflegte ein reges öffentliches Leben; mit einer kleinen Rücklage würde er dort für geraume Zeit völlig unbehelligt leben können. Man bot ihm an, einen sicheren Ort für ihn ausfindig zu machen, an dem er seinen Forschungen nachgehen konnte, ebenso eine Arztpraxis, für den Fall, dass er wieder praktizieren wollte. Er war die diversen Angebote durchgegangen und hatte dann behauptet, die Dauer seines Aufenthaltes noch nicht abschätzen zu können. Zwar fühlte er sich erstaunlich wohl, doch es war klar, dass er eigentlich seine Flucht in eines der Nachbarländer hätte vorbereiten müssen. Wie lange würde es dauern, bis die Information, dass er im Süden untergetaucht war, an die falschen Ohren drang?
    »Das kann Jahre dauern«, antwortete man ihm gelassen.
    In dieses kleine Touristenstädtchen mit seinen achttausend Einwohnern, das sich weitgehend der Skifahrt verschrieben hatte, drangen weltpolitische Nachrichten kaum vor. Neunankömmlinge wurden vorbehaltlos empfangen, und besonders Europäer genossen einen guten Ruf. Außerdem war den Argentiniern die Vergangenheit der deutschen Einwanderer egal. Eines Nachmittags entschloss sich José zu einem längeren Fußmarsch nach Bariloche. Er wollte sich dort mit einigen deutschen Bekannten treffen und in Erfahrung bringen, was sich in der Hauptstadt abspielte. Dass die Bundespolizei einen Haftbefehl gegen ihn ausgesandt hatte, wusste er. Zwanzigtausend deutsche Mark Belohnung wurden aus Europa geboten. Eine Angestellte der Deutschen Botschaft in Asunción hatte versichert, ihn in der Colonia Independencia gesehen zu haben. Die CIA wiederum brachte in Umlauf, er sei im Mato Grosso untergetaucht. Es regnete anonyme Anzeigen: Er sollte mit einer Frau in Córdoba verheiratet sein sowie mit einer weiteren – wohlhabenden – Dame in Santiago del Estero; in Corumbá hatte ihn jemand in einen Bus steigen sehen, jemand anders behauptete, er habe ihn in der Umgebung von Chiloé und Poços de Caldas Rinder impfen und dann über die Fußgängerbrücke verschwinden sehen, die das argentinische Clorinda mit dem paraguayischen Nanawa verband ... Zufrieden stellte er fest, dass er dabei war, sich in eine Legende zu verwandeln. Bevor er sich auf den Weg machte, prüfte er noch, ob seine einzige wirklich unentbehrliche Begleiterin, eine Zyankalikapsel, in der Hemdtasche steckte, dann ließ er seine Waffe in den Trenchcoat gleiten. Unzählige Male hatte er geprobt, wie lange es dauerte, die Kapsel zum Mund zu führen. Inzwischen beherrschte er die Bewegung im Schlaf.
    »Sehe ich dich wieder, Onkel Fritz?«, hatte sein Sohn ihn beim Abschied gefragt.
    »Schon bald«, hatte er gelogen.
    Ganz deutlich stand ihm die Szene mitten auf dem kühlen Waldweg nach Bariloche plötzlich vor Augen – in der Regel dachte er monatelang nicht an seinen Sohn. Vom See her drang Wassergeplätscher, das Gezwitscher verschiedener Vogelarten mischte sich darunter. Er versuchte den Gesang eines Lerchenschwarms nachzuahmen

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