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Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
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rechnen, dass die Abwehrkräfte der Kleinen noch schwächer wurden, sie konnte sich jederzeit einen Infekt einfangen. Sie brauchten also noch zwei weitere sterile Eingriffsstellen, über die sich das Kind verarzten ließ, ohne dass man den Kasten öffnen musste.
    Eifrig schrieb Enzo mit. Die nächsten vierundzwanzig Stunden setzte er keinen Schritt vor die Tür seiner Werkstatt.
    Vorsichtshalber wurde beschlossen, die Kranken – Lilith und ihren kleinen Bruder sowie das Paar aus Frankreich, das inzwischen ebenfalls das Bett hütete – im linken Flügel des Hauses abzuschotten; so war der ganze rechte Flügel für das Wochenbett und die Neugeborenen reserviert sowie für Tomás und Enzo, die bislang keine Krankheitssymptome zeigten. Luned erklärte sich bereit, die Krankenversorgung zu übernehmen, und überließ ihrer Tochter die verantwortungsvolle Aufgabe, rund um die Uhr für die Neugeborenen da zu sein.
    Sobald der Schneefall nachließ, waren sämtliche gesunden Gäste abgereist. Die Pension war bald nicht mehr wiederzuerkennen: Die Räume waren Tag und Nacht abgedunkelt, da man die schweren Jalousien wegen der Kälte rund um die Uhr geschlossen hielt; an die Stelle lebhaften Urlaubstrubels, mehrsprachigen Stimmengewirrs und fröhlichen Kinderlachens war eine gedämpfte Stille getreten, die nur durch das Weinen der Neugeborenen unterbrochen wurde. Selbst die Gerüche hatten sich verändert: Im Kampf gegen die Keime hatten die Waliserinnen das ganze Haus mit Lavendelöl getränkt. José war der Einzige, der sich im Haus frei bewegte, allerdings hielt er strenge Vorsichtsmaßnahmen ein: Bei der Krankenvisite trug er Mundschutz, nach jedem Kontakt rieb er sich die Hände gründlich mit Alkohol ab. Er fühlte sich ganz in seinem Element, die Situation übertraf seine kühnsten Hoffnungen: Wie lange hatte er nicht mehr zwei solch unschuldige, identische kleine Wesen vor sich gehabt, die ohne ihn obendrein dem sicheren Tod geweiht waren. Er gab vor, beide Babys gleich zu behandeln, die gleichen Spritzen, die gleiche Milch, die gleiche Brutwärme; in Wirklichkeit jedoch bekam die Erstgeborene ausschließlich Placebos. Besessen von dem Gedanken zu beweisen, dass die Medizin alles möglich machen und selbst das Unvermeidbare abwenden konnte, überließ er das kräftigere Mädchen seinem Schicksal und widmete sich voll und ganz dem kleinen Sorgenkind. Das bedeutete auch, dass er jeden Tag nach Bariloche in sein Labor fuhr, wofür ihm die beiden Männer des Hauses täglich aufs neue den Weg freischaufeln mussten. Doch Enzo und Tomás beklagten sich nicht; sie waren froh, überhaupt etwas tun zu können. Immerhin schien es mit den zerbrechlichen kleinen Wesen bergauf zu gehen, und dafür waren sie ihm zu größtem Dank verpflichtet.
    Vor allem mit Alicia, der Kleineren.
    Mehrfach täglich wurde sie von José untersucht: ob ihre Atmung in Ordnung war, wie sie die Milch vertrug, ob sie genügend zunahm. Bislang hatte sich die Kleine keinen einzigen Infekt eingefangen, die Anzahl der weißen Blutkörperchen war gestiegen. In kaum zwei Wochen wog sie so viel wie ihre Schwester Berta. Dafür traten bei dieser plötzlich Probleme mit der Atmung auf. Die Verhältnisse hatten sich offenbar ins Gegenteil verkehrt. Für sie stehe die letzte Phase bevor, diagnostizierte José und frohlockte hinter seinem Mundschutz. Er horchte Bertas immer kraftloser werdenden kleinen Körper ab und erklärte, viel mehr könne er für sie nicht tun.
    »Aber wie kann es sein, dass es der einen auf einmal besser geht und der anderen so schlecht?«, fragte Eva immer wieder verzweifelt.
    »Schicksal«, brummte José knapp.
    Sie solle das Kind am besten zu sich ins Bett holen und sich darauf vorbereiten, Abschied zu nehmen, riet er der gebrochenen Mutter – dabei hatte er insgeheim längst beschlossen, das Schicksal im letzten Moment herumzureißen. Die Tage waren köstlich aufregend, die reinste Abenteuergeschichte, und mit der Besessenheit eines Wahnsinnigen dokumentierte er die Ereignisse, notierte Ziffern und Statistiken in seinem schwarzen Heft und stellte alle möglichen Kalkulationen an. Wie ein Süchtiger lechzte er täglich nach dem nächsten Akt der kleinen Familientragödie – wenn eins der Frühchen mit dem Tode rang, war der Kitzel besonders groß –, und jeden Tag bekam er eine neue Gratisdosis des Schauspiels, das er mithilfe von Antibiotika, Hormonen, Sauerstoff und Spritzen lenkte und steuerte wie Gott der Allmächtige.
    In den

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